Immer mehr Bürger haben Sorge vor Spaltung der Gesellschaft

Berichte über rechtsextreme Verschwörungspläne, aufgeheizte politische Debatten und auf den Straßen friedliche Großdemonstrationen für die Demokratie: Bricht die Gesellschaft auseinander?

66 Prozent der Menschen in Deutschland befürchten einer Studie zufolge eine Spaltung der Gesellschaft. Damit erhöhte sich diese Angst innerhalb weniger Monate deutlich, wie die R+V-Versicherung in ihrer am Montag in Wiesbaden veröffentlichten repräsentativen Befragung „Die Ängste der Deutschen“ ermittelte. Im Sommer hatte die Hälfte der Befragten große Sorgen vor gesellschaftlicher Spaltung formuliert – diese Sorge wuchs seitdem aber um 16 Prozent.

Noch deutlicher steigt eine weitere Sorge. „Vor politischem Extremismus haben 59 Prozent der Deutschen Angst. Die Furcht ist im Vergleich zum Sommer um 21 Prozentpunkte in die Höhe geschnellt“, berichtet Studienleiter Grischa Brower-Rabinowitsch. 72 Prozent der Befragten haben Angst vor Rechtsextremismus, 61 Prozent vor islamistischem Extremismus und 29 Prozent vor Linksextremismus (Mehrfachnennungen möglich).

Der Langzeitvergleich zeigt, dass die Furcht vor politischem Extremismus seit 1996 erst zweimal größer war als in der aktuellen Sonderbefragung: 2016 (68 Prozent) und 2017 (62 Prozent), in beiden Fällen unter dem Eindruck der Attentate der IS-Terrormiliz und des Flüchtlingszuzugs in Europa. In den vergangenen sieben Jahren spielte das Thema in der R+V-Studie eine untergeordnete Rolle.

„Ein gewisses Auseinanderdriften in verschiedene gesellschaftliche Lager beobachten wir in Deutschland schon lange, etwa in links-rechts, arm-reich oder Stadt-Land“, sagte die Marburger Politikwissenschaftlerin und Beraterin der Studie, Isabelle Borucki. „Jetzt schüren die Rechtsextremen mit ihren Angriffen auf die Demokratie die Angst vor noch tieferen Gräben.“

Sowohl im Osten als auch im Westen hat eine deutliche Mehrheit der Menschen große Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft und vor politischem Extremismus. In Ostdeutschland ist die Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft etwas ausgeprägter als im Westen (Ost: 69 Prozent; West 65 Prozent). Im Westen ist hingegen die Angst vor politischem Extremismus größer als im Osten (West: 60 Prozent; Ost: 57 Prozent).

Größere Unterschiede gibt es bei der Art des Extremismus: Im Osten fürchten die Menschen an erster Stelle islamistischen Extremismus (70 Prozent), gefolgt von Rechtsextremismus (61 Prozent). Im Westen bereitet der Rechtsextremismus (74 Prozent) den Menschen deutlich mehr Sorgen als der islamistische Terror (59 Prozent). Die Bedrohung durch Linksextremismus halten Ost und West für vergleichsweise gering (Ost: 27 Prozent; West 29 Prozent).

„Die Menschen sind hoch verunsichert. Sie fühlen sich nicht gesehen und nicht gehört“, sagte Borucki. 2024 stehen Europawahlen sowie Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern an. „Für unsere Demokratie ist es von großer Bedeutung, dass die Politik den Kontakt zu den Menschen wieder herstellt, die Sorgen der Zivilgesellschaft ernst nimmt und die Probleme sichtbar anpackt.“