Immer für eine Überraschung gut

Die Menschen sollen sich ja kein Bild von Gott machen. Eigentlich. Tatsächlich tun sie es aber ständig – weil es anders einfach nicht geht. Aber aufgepasst, dass man da nicht in die Falle tappt

Beten wir das Vaterunser falsch? Seit Jahrhunderten verbindet dieses Gebet die Christinnen und Christen weltweit. In der Liturgie sagen sie dazu, sie beten, wie Jesus selbst es sie gelehrt hat. Und jetzt behauptet der Papst, da sei ein dicker Fehler drin (siehe Seiten 2 und 14). Im Kern geht es dabei um die Frage: Besteht bei Gott die Gefahr, dass er uns – absichtlich und gezielt – in die Versuchung führt? Müssen wir ihn also im Vaterunser extra darum bitten, dass er uns so etwas nicht antut?

Wenn man ehrlich ist, bereitet einem dieser Gedanke tatsächlich Unbehagen. Irgendwie scheint diese Vorstellung unpassend. Aber warum? Tatsächlich gibt es ja durchaus Belege dafür; Stellen in der Bibel, in denen genau das erzählt wird: Gott testet den Menschen.

Aber da will man gar nicht so gerne hinschauen. Das passt nicht zu dem Bild, das wir von Gott haben. Unser Schöpfer und Bewahrer, unsere Stärke und unser Heil – der macht mit uns Experimente, ob wir uns für Gut oder Böse entscheiden, Richtig oder Falsch?

Vielleicht ist das der Grund, warum die Bibel schon ganz am Anfang sagt: Du sollst dir kein Bildnis machen (2. Mose 20,4). Weil dahinter möglicherweise die Erfahrung steckt, wie sehr der Mensch dazu neigt, alles genau festlegen und bestimmen zu wollen. Und dann kommt dabei heraus: So hat Gott zu sein – und nicht anders.
Du sollst dir kein Bildnis machen. Und doch tun wir es ständig. Wie auch sonst sollte oder könnte man Gott denken? Von ihm reden? Zu ihm beten? Wer Gott als ein Gegenüber ansieht, hat zwangsläufig eine Vorstellung von ihm. Ein Bildnis.
Der liebe Gott. Der strafende Gott. Gott ist ein Freund des Lebens. Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein. Lässt Gott das Leiden in der Welt zu? Fügt er es zu? Wacht Gott über mir, achtet auf mich, hält seine Hand schützend über mir? Oder hat er sich zurückgezogen, ist ihm die Welt gleichgültig geworden?

All diese Vorstellungen von Gott gibt es. Mit guten Gründen und Belegen. Aber für jede dieser Vorstellungen gibt es auch Belege für das Gegenteil. Trotzdem halten wir voller Überzeugung an unserem jeweiligen Bild fest. Wir brauchen ein Bild, ein Ordnungsprinzip, um überhaupt klarzukommen mit Gott.

Aber: So notwendig das ist, muss man doch eines festhalten – Gott kann man nicht wirklich festlegen. Am Ende ist Gott dann doch immer wieder für eine Überraschung gut. Letztlich entzieht er sich unseren Festlegungen. Gott kann immer auch noch ganz anders sein. Der liebe Gott? Ja. Aber auch der geheimnisvolle. Manchmal der schweigende. Luther sprach sogar vom verborgenen Gott.

Wenn man über den Glauben redet, etwa über das Vaterunser und die Versuchung, kann es helfen, sich genau das klarzumachen: Welches Bild von Gott habe ich?
Das kann davor bewahren, zu sehr in die Falle der eigenen Wünsche und Festlegungen zu tappen. Und dem Anderen womöglich die eigene Vorstellung dann auch noch aufzwingen zu wollen.