Im Talar unter dem Hakenkreuz

Waren sie ein Opfer der NS-Politik und mussten nach 1933 die Freiheit der Wissenschaft auf dem Altar der Politik opfern? Nein, sagt der Historiker Grüttner. Die Unis waren freiwillig dabei.

Nur die Semesterferien lagen dazwischen und doch war die Welt eine völlig andere, als die Studenten und die Professoren zum Sommersemester 1933 an die Universitäten zurückkehrten. Die Universitäten stellten sich mehr oder weniger geräuschlos auf das NS-Regime ein, wie der Historiker Martin Grüttner in seinem soeben erschienenen Buch über die Universitäten im Dritten Reich schreibt. Es ist die erste Gesamtdarstellung zu diesem Thema.

Am Ende der Weimarer Republik gab es 23 Universitäten in Deutschland. Im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Expansionspolitik kamen vier Universitäten dazu, nämlich Wien, Innsbruck, Graz und Prag. Außerdem gab es noch zwei kurzlebige Neugründungen, die Reichsuniversitäten in Posen und Straßburg. Berlin, München und Leipzig waren damals die größten Unis mit dem höchsten Prestige. Nach den Statistiken des Historikers Grüttner gab es um 1932 rund 5.400 Hochschullehrer, insgesamt 6.140 Wissenschaftler, darunter 74 Frauen.

An den meisten Universitäten waren die Hochschullehrer überwiegend deutschnational und republikfeindlich eingestellt. Trotz weitverbreiteter Abneigung gegen die Weimarer Republik konnte die NSDAP bis zur Machtübernahme an den Universitäten jedoch kaum Fuß fassen, so die Erkenntnis von Grüttner. Dann aber ging es schnell.

“Die Gleichschaltung der Hochschulen wurde 1933/34 nicht allein von außen vorangetrieben, sondern auch von innen”, betont der Historiker. Er verweist darauf, dass sich die Studierenden schon sehr früh “ungewöhnlich aufnahmebereit für die Parolen der NSDAP” gezeigt hätten – im Gegensatz zu den Professoren.

Aber er spricht die Professoren nicht frei von Schuld. Die Hochschullehrer hätten zu jenen traditionellen Eliten gehört, “die einen signifikanten Beitrag zur Zerstörung der Weimarer Republik leisteten, ohne am Aufstieg des Nationalsozialismus zur Massenbewegung in nennenswerter Weise beteiligt gewesen zu sein”.

“Keine andere staatliche Institution wurde nach der nationalsozialistischen Machtübernahme so stark durch politisch motivierte ‘Säuberungen” dezimiert wie die Universitäten”, sagt Grüttner. Rund ein Fünftel des Lehrkörpers sei aus politischen Motiven vertrieben worden.

Es traf zum einen die Frauen, die allerdings am Ende der Weimarer Republik nur 1,2 Prozent des Lehrpersonals stellten. Aus der sehr kleinen Gruppe der Wissenschaftlerinnen wurde nach Erkenntnissen des Historikers etwas über ein Drittel entlassen.

In den meisten Fällen – rund 80 Prozent – mussten Professoren aus antisemitischen Motiven die Unis verlassen. Tatsächlich machten jüdische Menschen lediglich knapp ein Prozent der Bevölkerung am Ende der Weimarer Republik aus, an den Universitäten waren sie jedoch vergleichsweise stark vertreten. Die große Mehrheit der Professoren reagierte passiv auf das Schicksal der Kollegen, so der Historiker, viele Jüngere dagegen hofften auf einen Karriereschub durch die frei gewordenen Stellen.

“In allen wissenschaftlichen Disziplinen exponierten sich Hochschullehrer 1933/34 als aktivistische Vordenker einer neuen, nationalsozialistischen Wissenschaft”, stellt der Historiker Grüttner fest. Der Jurist Carl Schmitt und der Philosoph Martin Heidegger gehörten dazu. Allerdings blieben ihre Bemühungen, sich als intellektuelle Vordenker des NS-Regimes zu profilieren, weitgehend erfolglos, meint Grüttner. Aber: “Ihr öffentliches Bekenntnis zu Hitler trug dazu bei, den Nationalsozialismus im Bildungsbürgertum salonfähig zu machen.”

Inwieweit stellte die Wissenschaft sich in den Dienst des Nationalsozialismus, fragt der Wissenschaftler und stellt fest, dass diese dem Regime als Ideologen oder als Fachleute dienen konnten. Allerdings galt die Übernahme der NS-Ideologie in wissenschaftlichen Publikationen als unfein, denn das widersprach dem Selbstverständnis der Universitäten. Doch war man sich einig, die Wissenschaft müsse dem nationalen Interesse dienen.

Insgesamt stand die Wissenschaft stärker im Dienst der nationalsozialistischen Politik, als vielen ihrer Vertreter bewusst war, konstatiert Grüttner. “Der selbstgestellte Anspruch der Universitäten, ‘Hüterinnen von Wahrheit und Gerechtigkeit’ zu sein, war nach zwölf Jahren Diktatur bis zur Unkenntlichkeit verblasst.”