Im Sahel wird Kritik immer schwieriger

Arouna Louré hatte gerade die Vollnarkose eingeleitet, als Soldaten in den Operationssaal platzten. Sobald seine Ablösung da gewesen sei, hätten sie ihn mitgenommen, erinnert sich der Anästhesist aus Burkina Faso im Gespräch mit dem britischen Sender BBC an den September 2023. Die Militärs hätten ihn in ein Hunderte Kilometer entferntes Trainingscamp gebracht. Nach einer eiligen Grundausbildung sei er zum Kampf gegen islamistische Milizionäre gezwungen worden. Drei Monate lang musste der Arzt in dem lebensgefährlichen Einsatz bleiben.

Louré überlebte und kehrte in die Hauptstadt Ouagadougou zurück. Dort nimmt er noch immer kein Blatt vor den Mund. Dabei sei der erzwungene Militärdienst vermutlich eine Strafe gewesen, weil er die Militärregierung mehrfach kritisiert habe, sagt er. Dennoch hat er den Mut, nicht zu schweigen. Andere Kritiker der drei Militärregierungen in den Sahel-Ländern Burkina Faso, Mali und Niger sind weniger todesmutig. Ihre Stimmen werden leiser.

Dass die drei Militärregierungen ähnliche Vorstellungen haben, demonstrierten sie am Samstag mit der Gründung eines Staatenbundes. Die drei Länder besiegelten den Austritt aus dem westafrikanischen Bündnis Ecowas, planten ihre militärische Zusammenarbeit und schlugen Töne der Abgrenzung gegenüber westlichem Einfluss an.

Bereits bevor sich die Militärs zwischen 2020 und 2023 in den drei Ländern gewaltsam an die Macht brachten, stand es schlecht um die Menschen- und Bürgerrechte. So beklagte beispielsweise im Niger die Opposition im Juni 2023 – also schon vor dem Putsch – in ihrer „Erklärung von Niamey“ eine „generalisierte Beschränkung“ des zivilgesellschaftlichen Raumes und der Demokratie.

Internationale Menschenrechtsorganisationen und die Vereinten Nationen haben seit Ende 2019 Hunderte widerrechtliche Tötungen durch die Sicherheitskräfte bei Antiterror-Einsätzen dokumentiert. Islamistische Gruppen, die sowohl mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida als auch mit dem „Islamischen Staat“ verbündet sind, haben ebenfalls Gräueltaten begangen.

Doch seit den Putschen ist es offenbar noch schwieriger, die Staatsführungen zu kritisieren. So nutzen die Behörden in Burkina Faso nach Erkenntnissen von Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen ein Dekret vom April 2023, um Regierungskritiker zum Schweigen zu bringen. Die Verfügung sieht unter anderem eine Generalmobilmachung im Kampf gegen Dschihadisten vor. Dabei werden Kritiker gezielt „eingezogen“.

In Mali kündigte die Militärregierung unter Oberst Assimi Goïta im September 2023 an, sie werde die eigentlich für Februar 2024 geplante Wahl aufgrund „technischer Probleme“ verschieben. Am 31. März forderte daraufhin ein Zusammenschluss von mehr als 80 Parteien und zivilen Gruppen mit dem Namen „Bündnis des 31. März“ so bald wie möglich Präsidentschaftswahlen und ein Ende der Militärherrschaft. Als Reaktion verbot Staatschef Goïta im April kurzerhand alle Parteien und „Vereinigungen mit politischem Charakter“. Am Mittwoch erklärte die Junta eine Aufhebung des Verbotes. Was genau das für politisch Aktive bedeutet, wird sich zeigen.

Denn noch Ende Juni wurden laut dem französischen Sender RFI in der malischen Hauptstadt Bamako elf führende Oppositionelle festgenommen, weil sie sich im Rahmen des „31. März“-Bündnisses getroffen haben. Ihr Ziel sei es gewesen, die Gesellschaft gegen die Militärregierung und für eine Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung zu mobilisieren.

Zwar hatte die Bevölkerung in Mali, Burkina Faso und im Niger mit der Machtübernahme der Militärs durchaus Hoffnungen verknüpft. Viele Menschen waren die über Jahrzehnte herrschende Korruption und den großen Einfluss der früheren Kolonialmacht Frankreich leid. Doch nun zeichnet sich in allen drei Ländern ab, dass die Militärs keine Heilsbringer sind.

Außer der Sicherheitslage hat sich auch die wirtschaftliche Situation weiter verschlechtert. Zunehmend mehr Menschen müssen fliehen, Vertriebene können ihre Felder nicht bestellen, der Hunger nimmt weiter zu. Außerdem leidet die Bevölkerung unter den Krisen, die auch anderswo zu spüren sind: nach den ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie nun die drastischen globalen Preisanstiege. Auch die dramatisch hohe Inflation lässt die Menschen weiter verarmen.

Ein Teufelskreis, denn Verzweiflung schürt die Bereitschaft zu Gewalt – und flächendeckende Gewalt zerstört wirtschaftliche Möglichkeiten. Das Recht auf Leben wird im Sahel zu einem Gut, das immer weniger gesichert ist.