Im Erdbebengebiet

„HumHi TUR“ – Humanitäre Hilfe Türkei – heißt der Hilfseinsatz der Bundeswehr im Erdbebengebiet im Südosten nahe der syrischen Grenze. Zwei Militärseelsorger haben die Soldaten bei diesem Einsatz begleitet, unter anderem Jens Pröve aus Appen. Hier berichtet er.

Jens Pröve bei einem Gottesdienst über den Dächern des Feldkrankenhauses in der Region Altinözü
Jens Pröve bei einem Gottesdienst über den Dächern des Feldkrankenhauses in der Region AltinözüBundeswehr

Antakya/Altinözü. „Jeden Tag fahren hier 10 000 Lkw den Schutt aus der zerstörten Stadt ab“, so sagt es der Spieß auf dem Weg vom Flughafen zum Feldlager. In unserem Kleinbus ist es ziemlich still. Der Anblick der Zerstörung hat uns die Sprache verschlagen. Das mit den 10 000 Lastwagen mag ich nicht glauben. Jedenfalls so lange nicht, bis ich die endlose Kolonne sehe, die sich vollbeladen aus der Stadt in die Berge quält, um die Überreste von Häusern dort abzukippen und ein ganzes Tal zu verfüllen.

Wir passieren Antakya, eine Großstadt mit vormals mehr als 300 000 Einwohnern. Es ist eine Stadt mit einer langen Tradition. Schon die Apostel der Urchristenheit haben hier eine Gemeinde gegründet. Die Apostelgeschichte erzählt, dass die Jünger im antiken Antiochia zum ersten Mal Christen genannt wurden. Immer wieder wurde diese Stadt von Erdbeben verwüstet. Hier wird wie im Brennglas deutlich, mit welcher Macht das Erdbeben vom 6. Februar in der Region gewütet hat. Manche Häuser sind in sich zusammengefallen. Von anderen steht noch das Gerippe, unbewohnbar. Ganze Stadtviertel weichen den Baggern. Die zerstörten Häuser, die Zeltstädte und Containerdörfer sind das, was vor Augen steht. Wie schlimm aber muss es erst in den Seelen und Herzen der Bewohner aussehen. „Man muss ja nur einmal über den Zaun gucken, um zu sehen, dass es super sinnvoll ist, was wir hier machen“, so drückt es ein Kamerad aus.

„Die Eindrücke müssen verarbeitet werden“

Wir arbeiten in Altinözü, 25 Kilometer südöstlich von Antakya. Altinözü hatte rund 60 000 Einwohner. Die Zahl ist stark gestiegen. Ausgerechnet das Krankenhaus muss neu erbaut werden. Deshalb ist unsere Arbeit hier im Feldkrankenhaus eine echte Hilfe.

Hier werden nicht nur Erdbebenopfer behandelt, sondern all das, was im örtlichen Krankenhaus zurzeit nicht geleistet werden kann: Knochenbrüche, Verbrennungen, Verkehrsunfälle, innere Erkrankungen. Schockraum und Eingriffsraum, Röntgen und Labor, Behandlungsräume und die Unterkünfte sind in Zelten untergebracht. Jeweils acht Soldaten teilen sich ein Zelt. Für die Sauberkeit sorgt eine Feld-Wäscherei, für das leibliche Wohl eine Feldküche. Besonders wichtig ist die Wasseraufbereitung: Es drohen Seuchen wie Cholera und Typhus. Gemeinsam mit der Polizei kümmern sich die Feldjäger um die Sicherheit. Die Zusammenarbeit mit dem türkischen Katastrophenschutz klappt gut.

Andachten und Gespräche

Als Militärseelsorger bieten wir Gottesdienste, Andachten und Gespräche. Die Eindrücke müssen verarbeitet werden. Manchmal ist auch ein Spieleabend eine Ablenkung, bei der sich gute Unterhaltungen ergeben.

Eine wichtige Aufgabe sind die Betreuungsfahrten. Die wenigsten Kameraden haben die Möglichkeit, das Lager zu verlassen. Damit sie mal etwas anderes sehen, bin ich ein- bis zweimal in der Woche mit einer Kleingruppe in der Region unterwegs. Den Kontrast auszuhalten, fällt manchem nicht leicht. Doch immer wieder kommen Menschen auf uns zu, bedanken sich.

Unser Autor
Jens Pröve, seit 2016 Militärpfarrer, begleitet Soldatinnen und Soldaten bei Auslandseinsätzen seelsorglich.