Trotz umfassender Streamingangebote steigen die Zahlen illegaler Medienzugriffe seit einigen Jahren wieder. Besonders groß ist der Schaden im Bereich Sport. Ein Grund dafür ist die Vielfalt der Anbieter.
Es scheint, als wären die 2000er zurück. Auf der Straße erfreuen sich tief hängende Baggy-Hosen und Plateau-Schuhe großer Beliebtheit, online erlebt die Netzpiraterie ein Comeback. Dem britischen Marktforschungsunternehmen “Muso” zufolge ließen sich im vergangenen Jahr weltweit 216 Milliarden Zugriffe auf illegale Download- und Streamingplattformen verzeichnen. Die Forscher sagen, damit habe sich innerhalb von fünf Jahren die Zahl solcher Zugriffe mehr als verdoppelt. Eine Studie des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) kommt zu dem Ergebnis, dass 2023 im Schnitt jeder EU-Bewohner zehnmal im Monat auf illegale Online-Inhalte zugegriffen habe. Mit durchschnittlich sieben unerlaubten Zugriffen pro Nutzer belegte Deutschland hier allerdings den letzten Platz.
Zu Beginn des Jahrtausends waren es die Musik- und Filmindustrie, die die größten finanziellen Einbußen aufgrund illegaler Beschaffungsmethoden zu verzeichnen hatten. Als Spotify 2006 und Netflix 2007 an den Start gingen, dauerte es zwar noch einige Jahre, bis sich deren Angebot gegenüber dem der kostenlosen, illegalen Anbieter durchzusetzen vermochte. Im Jahr 2021 sank die Zahl der illegalen Zugriffe laut EUIPO-Studie aber pro Monat schließlich auf fünf pro Kopf.
“Netzpiraterie ist immer dann erfolgreich gewesen, wenn die Benutzerfreundlichkeit besser als jene von legalen Angeboten war”, sagt Leonhard Dobusch im Interview mit dem KNA-Mediendienst. Dobusch ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Innsbruck und beschäftigt sich als Medienökonom schon lange mit dem Phänomen. Im Musikbereich sei es Plattformen wie Spotify gelungen, den Nutzern ein so umfangreiches und intuitiv nutzbares Sortiment anzubieten, dass die illegale Beschaffung vergleichsweise aufwendig und damit unattraktiv erscheine.
Im Bereich des legalen Bewegtbilds hingegen “ist das Angebot in mancher Hinsicht heute weniger gut als früher in der Videothek”, sagt Dobusch. Und meint damit die Fragmentierung der Streaminglandschaft. Um alle seine Lieblingsserien und -filme sehen zu können, ist man als Konsument mittlerweile dazu angehalten, mehrere Abonnements bei unterschiedlichen Anbietern abzuschließen – ein teurer Spaß.
Diesen “Plattformverfall” – die Wortschöpfung stammt vom kanadischen Journalisten Cory Doctorow – kann man aktuell bei den Streaminganbietern beobachten. Plattformen, die eine bestimmte Marktgröße erreicht haben, könnten es sich erlauben, ihren Bestandskatalog zu reduzieren und vermehrt Werbung zu schalten. Kurzum: den Profit vor die Nutzerlogik stellen. Eine Folge: Netzpiraterie erscheine manchem Nutzer wieder als die attraktivere Alternative. Im Umkehrschluss bedeutet das Dobusch zufolge aber auch: “Wenn es zu einer wirtschaftlichen Konsolidierung der Streaminganbieter kommt, könnten sich Angebot und Benutzerfreundlichkeit wieder bessern.”
Mit Abstand am weitesten verbreitet ist Netzpiraterie im Bereich der Sport- und insbesondere der Fußballübertragung. Dort ist auch die Marktfragmentierung besonders weit fortgeschritten. Wer etwa ab der Saison 2027/28 alle Spiele der Bundesliga, Champions-, Europa- und Conference League sehen will, benötigt dafür Abos von gleich vier Anbietern: Amazon Prime Video, DAZN, Paramount+ und Sky. Ein finanzieller Aufwand, den sich kaum ein Fan mehr leisten kann, was die steigenden Zugriffszahlen auf illegale Streams erklärt.
Einer Studie des deutschen Privatmedien-Verbandes Vaunet zufolge beträgt allein der Schaden durch illegale Live-TV-Streams hierzulande jährlich rund 1,8 Milliarden Euro. Pro Bundesliga-Spieltag ließen sich bis zu 10.000 illegale Streams feststellen. Oliver Pribramsky, Leiter der Rechteschutzabteilung der Deutschen Fußball-Liga (DFL), sagte Medienberichten zufolge über die Dimensionen des Problems: “Wir reden eben nicht über harmlose Tüftler, die für ihre Freunde mal einen Stream knacken, sondern über bandenmäßig organisierte internationale Kriminalität, die vielfach auch mit anderen illegalen Aktivitäten zusammenhängt.”
Jüngste Erfolge der Strafverfolgungsbehörden unterstreichen das. So deckte Europol erst im vergangenen November eines der größten illegalen Streaming-Netzwerke innerhalb und außerhalb der EU auf. Die damaligen Ermittlungen richteten sich gegen 102 Verdächtige, deren Angebote von mehr als 22 Millionen Menschen genutzt worden sein sollen.
Doch was haben die Anbieter von illegalen Inhalten davon, wenn sie sie für die Nutzer kostenlos zur Verfügung stellen? Die “Alliance for Creativity and Entertainment” (ACE) ist ein Zusammenschluss von über 50 Medien und Unterhaltungsunternehmen weltweit. Sie arbeitet eng mit internationalen Strafverfolgungsbehörden zusammen und hat es sich zur Aufgabe gemacht, global gegen Netzpiraterie vorzugehen. Publikationen der ACE zufolge gibt es zwei besonders lukrative Geschäftsmodelle, die die Anbieter im Bereich der Netzpiraterie verfolgen. Variante Eins: Manipulierte Streaming-Sticks oder modifizierte Apps, die den Zugang zu legalen Pay-TV-Inhalten ermöglichen. Diese illegalen IP-TV-Bezahlabos ließen sich umstandslos und zu einem Bruchteil des Preises der Originalanbieter online erwerben.
Die zweite Variante: Besucher professionell wirkender Streamingportale infizieren sich mit Schadsoftware, die Identitätsdiebstahl und Kreditkartenbetrug mit sich brächten. Das Fazit der Initiative: “Was wie eine Abkürzung zum kostenlosen Zugriff aussieht, öffnet oft Hackern und organisierter Cyberkriminalität Tür und Tor.”