„Ich bin nicht euer Jude vom Dienst“

Armin Langer kämpft nicht nur gegen Antisemitismus, sondern auch gegen die Ausgrenzung von Muslimen. Der Aktivist und Theologie-Student provoziert. Das stört viele in der jüdischen Gemeinschaft. Markus Kowalski stellt den konstruktiven Unruhestifter vor.

Armin Langer kämpft nicht nur gegen Antisemitismus, sondern auch gegen die Ausgrenzung von Muslimen. Der Aktivist und Theologie-Student provoziert. Das stört viele in der jüdischen Gemeinschaft.

Von Markus Kowalski

„Da bin ich skeptisch“, ist so ein Satz, den Armin Langer gerne sagt. Besonders, wenn es um Antisemitismus unter Muslimen geht, dem Thema, mit dem er bekannt wurde. „Muslime sind die neuen Juden“ war die Überschrift seines bisher umstrittensten Artikels. Darin schrieb er, dass Antisemitismus kein ethnisches Problem ist, welches mit Geflüchteten und Muslimen ins Land kommt, sondern schon in der deutschen Gesellschaft verwurzelt ist.Skeptisch ist Langer auch, als er mit dem Publizisten Jakob Augstein vergangene Woche Montag auf der Bühne des Berliner Maxim-Gorki- Theaters diskutiert – über Antisemitismus.Augstein und Langer, das passt perfekt zusammen. Augstein ist dafür bekannt, mit seiner Spiegel-Online- Kolumne „Im Zweifel links“ anzuecken. Gerade bei Augsteins Kolumnen scheiden sich unter Linken die Geister. Nachdem er 2012 Sätze wie „Gaza ist ein Gefängnis. Ein Lager. Israel brütet sich dort seine eigenen Gegner aus“ veröffentlichte, wurde ihm Antisemitismus vorgeworfen.Und mit so einem diskutiert Armin Langer, der Student der jüdischen Theologie und angehende Rabbiner, besonders gern. Denn Langer provoziert ebenso freudig eine Diskussion wie Augstein, nur in eine andere Richtung. Beim Thema Antisemitismus findet er nicht schrille, sondern versöhnliche Worte. Augstein fragt, ob das Verbrennen der israelischen Flagge antisemitisch ist. Langer: „Da bin ich skeptisch.“ Ob man sich als Jude mit Antisemitismus beschäftigen müsse? „Antisemitismus sollte keine Angelegenheit der Juden sein“, antwortet Langer. „Was nicht heißen soll, dass Juden sich nicht an der Debatte beteiligen sollten.“Als Fragen vom Publikum erlaubt sind, meldet sich eine ältere Dame. Sie findet, dass sich Langer noch nicht genug von Antisemiten abgegrenzt habe. Alle Religionen sollten sich dagegen wehren – „Sie mit ihrem Judentum“ umso mehr.Es passiert genau das, was Langer immer zu vermeiden sucht. „Ich bin nicht euer Jude vom Dienst“, hatte er zuvor noch gesagt. Doch genau zu dem wird er gemacht. Langer hat eine Rolle eingenommen, die ihm selbst nicht gefällt.Alles begann im Dezember 2013 in Berlin-Neukölln. Da gründete er mit jüdischen und muslimischen Aktivisten die Salaam-Schalom-Initiative. Heute setzen sich rund 100 Juden und Muslime gemeinsam für ein Miteinander der Religionen ein. „Wir sind naive Weltverbesserer, aber das ist vielleicht auch unser Charme“, sagt Langer dazu selbstironisch. Die Gruppe organisiert Demonstrationen, wie zuletzt am 19. Dezember vor dem Rathaus Neukölln zu Chanukka. Alle bringen Kerzen und Teelichter mit, zelebrieren den religiösen Brauch und verbinden das mit ihrem politischen Anliegen. Junge Juden und Muslime wollen sich nicht durch Antisemitismus- Vorwürfe und Vorurteile der Populisten spalten lassen. Sie gehen an Schulen, um dort mit den Schülern über antisemitische Stereotype zu sprechen.Und all das passiert in Neukölln. Gerade hier, einem Stadtteil, der vom Vorsitzenden des Zentralrats der Juden Josef Schuster als „Nogo- Area“ für Juden bezeichnet wurde. Armin Langer ist in Ungarn aufgewachsen, zog 2013 nach Berlin- Neukölln und fühlt sich dort nicht bedroht.Im Gegenteil: Er trägt bewusst seine Kippa und hat muslimische Geflüchtete in seinem Gästezimmer untergebracht. „Natürlich gibt es Antisemitismus in Neukölln, aber das ist kein Problem dieses Stadtteils, sondern eins der gesamten Gesellschaft.“ Damit sei es eben kein ethnisches Problem der Muslime und Geflüchteten.Mit dieser Position stellt sich Langer gegen den Zentralrat. Dessen Vorsitzender Schuster sagte im Zuge der Flüchtlingskrise, dass die ankommenden Menschen aus Kulturen stammten, „in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil ist“ und warnte vor ansteigendem Antisemitismus. Daraufhin nannte Langer ihn im November 2015 einen Rassisten. Es hagelte Kritik, doch Langer sagt: „Ich will nicht allen gefallen.“Der Zentralrat sieht sich selbst als Dachverband der Religionsgemeinschaft. Nicht für Langer, er ist dort nicht Mitglied und fühlt sich von der Organisation auch nicht vertreten. Die politische Ausrichtung ist ihm zu konservativ.Langer ist mit seiner Initiative seit Jahren in den Medien präsent, veröffentlichte 2016 das autobiografische Buch „Ein Jude in Neukölln“. Das wurde ihm während seiner Rabbiner-Ausbildung am Potsdamer Abraham-Geiger-Kolleg zum Verhängnis. Weil man als Student dort Interviews mit der Leitung des Kollegs absprechen soll und Langer das oft nicht tat, sondern freimütig den Zentralrats-Präsidenten Schuster kritisierte, wurde er 2016 aus dem Kolleg entlassen.Er tritt ein für ein linkes Judentum, das sich mit einem liberalen Islam zusammentun kann und den Dialog mit dem konservativen Islam nicht scheut. Die Idee, die mit der Initiative Salaam-Schalom real geworden ist, hat bereits Anhänger in Kopenhagen, Budapest, Zürich, Hamburg und Barcelona gefunden. Deswegen sollen diese Initiativen mit einem eigenen Dachverband stärker zusammenwachsen.„Deutschland ist schon lange ein Einwanderungsland“ ist ein Satz, mit dem Langer viel lieber Aufmerksamkeit bekommen würde. Er will mit den Deutschen über ihr Nationalgefühl sprechen. Doch so etwas scheint sie viel weniger zu interessieren als den angeblichen Antisemitismus der Neuköllner.