Wenn deutsche Regierungschefs nach Israel reisen, schwingt die Erinnerung an die Verbrechen des NS-Regimes stets mit. Die aktuellen Verwerfungen im Nahen Osten machen die bevorstehende Visite für Merz nicht leichter.
Erst Jordanien, dann Israel. Am Wochenende begibt sich Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in den Nahen Osten. Das Ganze wird – so viel lässt sich wohl im Vorhinein schon sagen – ein diplomatischer Drahtseilakt. Den Auftakt machen am Samstag Gespräche mit Jordaniens König Abdullah II. Dessen Land gilt in der Konfliktregion als Stabilitätsanker.
Am Sonntag will sich Merz mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu austauschen. “Neben den bilateralen Beziehungen werden die weitere Stabilisierung des Waffenstillstands in Gaza sowie andere internationale Themen im Mittelpunkt des gemeinsamen Gesprächs stehen”, teilte die Bundesregierung im Vorhinein mit.
Der Überfall der palästinensischen Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 hatte den Krieg im Gazastreifen ausgelöst. Seit dem 10. Oktober dieses Jahres gilt ein allerdings fragiler Waffenstillstand. Laut Angaben von Hilfsorganisationen wurden zwischen dem 11. Oktober und dem 24. November im Gazastreifen mehr als 339 Menschen, darunter 70 Kinder, durch Angriffe des israelischen Militärs getötet.
Immer noch sei es schwierig, die notleidende Bevölkerung zu erreichen, beklagen neun Organisationen in einem Brief an Merz. Der Bundeskanzler solle sich deswegen für einen freien Zugang der Helfer einsetzen, forderten unter anderem Caritas international und die Welthungerhilfe. Mit Sorge blicken die Unterzeichner auch auf zunehmende Gewalt im Westjordanland und Ostjerusalem durch israelische Militäreinsätze und militante Siedler. Dieses Thema müsse Merz ebenfalls in seinem Gespräch mit Netanjahu anschneiden.
Als Bundeskanzler reist Merz zum ersten Mal in das Land. Bei seinem Antrittsbesuch wird er vermutlich erst einmal ausloten müssen, wie die Stimmung beim Gastgeber aktuell ist. Das Verhältnis zwischen beiden Regierungen galt zeitweilig als angespannt. Dazu trugen etwa mehrmonatige Beschränkungen für Rüstungsexporte nach Israel bei, die Mitte November aufgehoben wurden.
Es müsse darum gehen die ramponierten deutsch-israelischen Beziehungen zu reparieren, die unter dem zeitweiligen Waffenembargo spürbar gelitten hätten, so die Deutsch-Israelische Gesellschaft am Freitag. Vize-Regierungssprecher Sebastian Hille dagegen nannte das Stopp der Lieferungen am Freitag sachgemäß. Zugleich unterstrich er: “Das deutsch-israelische Verhältnis ist intakt, es ist eng, es ist vertrauensvoll.”
Ein Blick zurück zeigt, dass die Reisen deutscher Regierungschefs in das Land immer schon etwas Besonderes waren. Das hängt zuallererst mit den Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust zusammen, dem Mord an sechs Millionen Juden.
Die Annäherung beider Länder nach 1945 hatte deswegen eine längere Vorgeschichte. Ein erster Grundstein wurde am 10. September 1952 durch das Luxemburger Abkommen gelegt, in dem die Bundesrepublik Verantwortung für die Schoah übernahm und sich zur Zahlung von Entschädigungsleistungen verpflichtete. Am 14. März 1960 trafen mit Konrad Adenauer (CDU) und David Ben-Gurion in New York erstmals ein deutscher Bundeskanzler und ein israelischer Ministerpräsident zusammen.
Am 12. Mai 1965 schließlich vereinbarten Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU) und der israelische Ministerpräsident Levi Eschkol die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Das 60-Jahr-Jubiläum wurde im Mai durch eine doppelte Begegnung der beiden Präsidenten, Isaac Herzog und Frank-Walter Steinmeier, erst in Deutschland und dann in Israel begangen.
Zu einer Visite deutscher Politiker in Israel gehört in der Regel auch ein Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Merz will dort einen Kranz niederlegen. Dass die Erinnerung an die Schoah nicht in Vergessenheit gerät, ist ganz offenbar ein persönliches Anliegen des CDU-Politikers. Im Gedächtnis bleibt seine Rede bei der Wiedereröffnung der von den Nazis verwüsteten Synagoge Reichenbachstraße in München Mitte September. Der sonst als hartegesotten geltende Politiker kämpfte dabei mit den Tränen.
In Israel wird Merz schließlich auch der lange Schatten seiner Vorvorgängerin Angela Merkel verfolgen. Die CDU-Politikerin hatte 2008 bei einem vielbeachteten Auftritt vor der israelischen Knesset gesagt: “Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.”
Inwiefern der Begriff der Staatsräson für die Ausgestaltung der aktuellen Beziehungen mit Israel taugt, ist nur eine der vielen heiklen Fragen, die der Bundeskanzler bei seiner bevorstehenden Reise im Gepäck hat.