Der deutsch-israelische Historiker und Pädagoge Meron Mendel sieht zu wenig Solidarität mit Juden in Deutschland und zu wenig Gegenwehr gegen Antisemitismus. Es sei enttäuschend, “wie wenig die Menschen in Deutschland überhaupt reagieren. In der breiten Bevölkerung gibt es kein Problembewusstsein oder spürbare Solidarität mit Juden”, sagte der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt der “Neuen Osnabrücker Zeitung” (Wochenende). Nach dem Überfall der Hamas auf Israel und nachfolgenden antisemitischen Übergriffen sei die “empathische Reaktion in der Gesamtgesellschaft ausgeblieben”.
Mendel sieht in der Konsequenz die deutsch-israelische Aussöhnung als teilweise gescheitert an: “Es zeigt, dass die deutsch-israelische Versöhnung offenbar nur eine dünne Schicht der Bevölkerung erreicht hat. Ein Großteil der Menschen in Deutschland bleibt gleichgültig oder pflegt weiter Ressentiments gegen Juden und Israelis.”
Besonders enttäuscht sei er von der Kulturszene in Deutschland, fügte der Historiker hinzu. Der dort weit verbreitete Aktivismus für die Hamas und andere palästinensische Organisationen zeige den “moralischen Bankrott” von Teilen des Kulturbetriebs: “Egal wie man politisch zum Konflikt steht, die Auffassung, dass eine dschihadistische Terrorgruppe eine progressive Befreiungsbewegung sei, ist völlig absurd. Gerade diese Art der Hamas-Unterstützung oder ihre Verharmlosung zeigt, dass Teile der internationalen und der deutschen Linken ihren moralischen Kompass verloren haben.”
Der “Sächsischen Zeitung” hatte Mendel bereits am Dienstag gesagt, wenn man sich in einem Fall äußere, etwa zum Angriffskrieg gegen die Ukraine, und bei einem anderen Fall schweige wie beim Terrorangriff der Hamas, dann werde das Schweigen zum politischen Statement: “Damit wird implizit gesagt: Jüdische Zivilisten zu morden, sei nicht so schlimm, wie wenn dies ukrainischen Zivilisten geschieht.”
Ein relativierender, vereinfachender Blick auf den Nahostkonflikt gehöre in der Linken und in Teilen der Kulturszene zum Alltag, so Mendel weiter. “Wenn Queerfeministinnen auf Demos die Hamas feiern und ‘Frau Leben Freiheit’ rufen, ist das ein schrecklicher Missbrauch des Slogans der iranischen Protestbewegung.”
Mendel berät auch Kulturinstitutionen zum Thema Antisemitismus. Unter anderem beriet er als externer Experte die Documenta 15, legte das Amt aber im Juli 2022 nieder, weil er nach eigenem Bekunden einen ernsthaften Willen vermisste, die Vorgänge des Antisemitismus-Skandals aufzuarbeiten und in einen ehrlichen Dialog zu treten.