Hip-Hop ist ein Phänomen, das alle etwas angeht. So formuliert es der Direktor der Kunsthalle Schirn in Frankfurt am Main, Sebastian Baden. Die vom 29. Februar bis 26. Mai geöffnete Schau „The Culture“ zeigt erstmals in Deutschland, wie stark Hip-Hop die Kultur beeinflusst hat. Passend zur Präsentation der Ausstellung trägt der Direktor bunte Puma-Schuhe. Hip-Hop sei eine gesellschaftlich erfolgreiche Bewegung geworden, denn sie habe Schwarzen und Latinos vorher verschlossene Türen geöffnet, betont Baden.
Ausgehend von den Ursprüngen des Hip-Hop unter schwarzen und lateinamerikanischen Jugendlichen in der New Yorker Bronx der 1970er Jahre sei die Bewegung eine globale Kraft geworden, sagt die Kuratorin Andréa Purnell. Die Ausstellung fächert die Ausprägung des Hip-Hop in den sechs Themenbereichen Pose, Marke, Schmuck, Tribut, Aufstieg und Sprache aus. Die Exponate greifen auch zeitgenössische Debatten auf, etwa über Identität, Rassismus, Sexualität oder Feminismus.
Drei grimmig dreinblickende Jungs posieren vor einem Zaun, die Finger der erhobenen Hände gestenreich verrenkt. Das Gemälde von Michael Vasquez „Chain Strangle“ (2010) spielt im Titel auf den demonstrativen Kettenschmuck an und zeigt die Posen der Männer mit ihren Gang-Handzeichen. Eine andere Pose zeigt Kudzanai Chiurai mit seinem „The Minister of Enterprise“ (2009). Dieser trägt eine getönte Sonnenbrille, goldene Uhr und Goldkette und zündet sich mit einem brennenden Geldschein eine Zigarre an. Mit der Hip-Hop-Ästhetik kommentiere der Künstler die politische Elite in Südafrika sowie Korruption und Männlichkeit, erläutert die Kuratorin.
Indem Hip-Hop über Musik und Kunst ein ökonomischer Faktor wurde, verband sich die Kultur mit Kommerz. Die Schau illustriert dies anhand vielfältiger Modeartikel, so mit dem Schuh Scott-Air-Jordan. Der Rapper Travis Scott verband sich mit der Sportfirma Nike und ließ sich den Sneaker Air Jordan mit umgedrehtem Nike-Symbol fertigen. Künstler gingen Partnerschaften mit Unternehmen ein oder entwickelten ihre eigenen Marken. Rapper Jay-Z reimte passend 2005: „I’m not a businessman, I’m a business, man!“ (Ich bin kein Geschäftsmann, ich bin ein Geschäft, Mann!). Er war nach Angaben der Schirn der erste Rapper, der mehr als eine Milliarde Dollar aufhäufte.
Schmuck und Mode spielten für Hip-Hop-Künstler als Ausdrucksmittel und ersehnten Luxus zugleich eine wesentliche Rolle. So prägten die bunten Perücken der Hairstylistin Dionne Alexander (1999, für die Schau reproduziert 2022), teilweise mit den Logos von Luxusmarken bedruckt, das Outfit der Rapperin Lil’ Kim. Ins Auge springt eine Reihe von lebensgroßen, bunten Puppen. Ihre von Virgil Abloh entworfenen Jacken und Hosen (2022) bestehen aus demselben Design. Ursprung war das Hip-Hop-Trio Run D.M.C., das mit der Single „My Adidas“ 1986 einen Trainingsanzug und Schuhe der Sportfirma als Uniform übernahm. Daraufhin begannen zahlreiche Modedesigner, fantasievolle „Trainingsanzüge“ in eigenem Hip-Hop-Stil zu entwerfen.
Insgesamt präsentiert die Schirn mehr als 100 Gemälde, Fotografien, Skulpturen, Modestücke und Videos, unterlegt mit Hip-Hop-Musik, zumeist aus den vergangenen 20 Jahren. „Die visuelle Kultur des Hip-Hop mit ihren subversiven Taktiken und ihrem Einsatz für soziale Gerechtigkeit taucht überall in der heutigen Kunst auf, in Malerei, Performance, Fotografie, Videos, Mode, Skulptur und Architektur“, erklärt die Kuratorin.
Daher bezeichnet Purnell die Hip-Hop-Bewegung als neuen kulturellen Kanon. Dieser konkurriere mit der westlichen kunsthistorischen Tradition, an der sich viele Museen orientierten. Hip-Hop zeige alternative Ideale hinsichtlich künstlerischer Qualität, die sich auf afro-lateinamerikanische Identitäten und Geschichten konzentrierten. Die Ausstellung veranschaulicht, dass viele der zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler sich mit diesem neuen Kanon auseinandersetzen. Purnell ist überzeugt: „Hip-Hop hat die Welt verwandelt.“