„Hinweise auf Völkermord“: Beweissammlung für russische Kriegsverbrechen

Noch während der Kampfeshandlungen müssen mögliche russische Kriegsverbrechen dokumentiert werden, betonen Forscher. Eine Verurteilung Putins bewerten sie aber als sehr unwahrscheinlich.

In diesem Theater in Mariupol fanden etwa 1.200 Zivilisten Zuflucht, bevor es von russischen Bomben zerstört wurde
In diesem Theater in Mariupol fanden etwa 1.200 Zivilisten Zuflucht, bevor es von russischen Bomben zerstört wurdeImago / Cover-Images

Zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar hat der Direktor des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS), Ulf Brunnbauer, die Bedeutung einer zeitnahen Dokumentation russischer Kriegsverbrechen betont. Um vor einem internationalen Gerichtshof „sattelfeste Beweise“ zu haben, müssten die Kriegsverbrechen noch während des Krieges dokumentiert, bewertet und eingeordnet werden, sagte der IOS-Direktor dem Evangelischen Pressedienst.

Nur so könne gewährleistet werden, dass die Aussagen der Opfer und Zeugen möglichst frühzeitig erfasst und nicht in späterer Erinnerung unpräziser würden. Die ukrainischen Strafverfolgungsbehörden erhielten dabei Unterstützung von aus der Ukraine geflohenen Wissenschaftlerinnen, die am IOS in Regensburg arbeiteten. Für die Behörden in der Ukraine sei dies eine Entlastung, weil sie vermutlich tausende Kriegsverbrechen dokumentieren müssten, „und das in einer Zeit, wo weiter gekämpft wird“.

Genozid hat hohe rechtliche Hürden

Laut IOS-Direktor verdichten sich die Hinweise, dass Russland nicht nur Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung verübt, sondern auch gegen die internationale Völkermord-Konvention verstößt. Dazu zählten die systematische Verschleppung von Kindern aus den besetzten Gebieten in der Ukraine nach Russland oder das massive Bombardement von Mariupol. „Zusammen mit den Massenvergewaltigungen kann das in Summe tatsächlich darauf hinauslaufen, einen Genozid festzustellen“, sagte Brunnbauer. Die rechtlichen Hürden dafür seien sehr hoch, weil eine gezielte Absicht des Völkermords nachgewiesen werden müsse.

Der IOS-Direktor geht davon aus, dass sämtliche Anschuldigungen vor ein Sondertribunal in Den Haag gebracht werden – wenn auch nicht vom UN-Sicherheitsrat eingerichtet, wo bekanntlich Russland und China ein Vetorecht haben. Die Schwierigkeit bei diesen Prozessen sei aber nicht, die Kriegsverbrechen als solche zu dokumentieren, sondern die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. „Man muss eben nicht nur den Soldaten, der mit seinem Panzer auf ein ziviles Gebäude feuert, sondern den Kommandeur, der das angeordnet hat, identifizieren und anklagen – bis zum Oberkommandierenden, das heißt Wladimir Putin.“