Hilfe ist immer noch gefragt – auch drei Monate nach dem Erdbeben

Viele Menschen warten in der Türkei und Syrien auch 90 Tage nach dem Erdbeben auf Hilfe – trotz Unterstützung in Milliardenhöhe. Hilfswerke sind besorgt.

Im türkischen Gaziantep wohnen viele Menschen noch immer in Zeltdörfern
Im türkischen Gaziantep wohnen viele Menschen noch immer in ZeltdörfernImago / Zuma Wire

Drei Monate liegt die Katastrophe nun zurück, bei der am 6. Februar mehr als 50.000 Menschen ums Leben kamen. Mehr als zwei Millionen Menschen wurden Medienberichten zufolge allein in der Türkei obdachlos. Viele von ihnen leben derzeit in Flüchtlingscamps, in denen es an Grundlegendem fehlt: an Lebensmitteln, Medikamenten, sauberem Wasser.

Nach der Katastrophe hat die Internationale Gemeinschaft schnell reagiert: Für den Wiederaufbau mobilisierte sie umgerechnet sieben Milliarden Euro. Die EU sagte eine Milliarde Euro für die Türkei sowie weitere 108 Millionen Euro für humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau in Syrien zu. In kürzester Zeit verstärkten auch zahlreiche Hilfswerke ihren Einsatz vor Ort, riefen zu Spenden auf und sammelten Hilfsgüter.

Sorgen um Syrien

90 Tage später blicken viele Helfer mit Sorge vor allem nach Syrien. Seit mehr als zwölf Jahren leidet das Land unter den Folgen des Krieges, wirtschaftlicher Instabilität und einer Ernährungskrise. Bestehende Probleme wurden durch die Katastrophe verstärkt: „Bereits vor den Erdbeben fehlten an der Grenze zu Syrien Trinkwasser, Nahrung sowie sichere Unterkünfte“, sagt der Generalsekretär von Care Deutschland, Karl-Otto Zentel.

Die Diakonie Katastrophenhilfe und Caritas international machen auf die Lage jener Syrer aufmerksam, die nach dem Beben in die Türkei geflohen sind. Die türkischen Behörden hätten angekündigt, vorübergehende Aufenthaltsgenehmigungen auslaufen zu lassen. „Ein Ende der Regelung könnte Zehntausende Menschen zwingen, in die vom Erdbeben zerstörten Gebiete zurückzukehren.“

Verzweifelt suchten Helfer in den Trümmern nach Überlebenden, hier im türkischen Adana
Verzweifelt suchten Helfer in den Trümmern nach Überlebenden, hier im türkischen AdanaImago / Zuma Wire

Die Auswirkungen der Katastrophe zeigen sich auch hierzulande: Mehr als 6.000 Menschen aus dem Erdbebengebiet hat Deutschland aufgenommen. Bis Mittel April sind laut Bundesregierung für türkische Staatsangehörige mehr als 700 Schengen-Visa, rund 4.500 Visa mit räumlich beschränkter Gültigkeit und 429 Visa zum Familiennachzug erteilt worden. Syrische Staatsangehörige aus dem Erdbebengebiet erhielten 46 Schengen-Visa und rund 440 Visa zum Familiennachzug.

Trotz der vereinfachten Einreise nach Deutschland gibt es bürokratische Hürden: Voraussetzung ist etwa ein gültiger Reisepass, viele Betroffene des Erdbebens haben jedoch Hab und Gut verloren, darunter auch wichtige Dokumente. Nicht nur deshalb werden die Forderungen nach langfristiger Unterstützung immer lauter.

„Am Anfang war die Spendenbereitschaft extrem“, erzählt ein Deutsch-Türke im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Er möchte lieber anonym bleiben. „Jeder hat einen angesprochen, alle wollten helfen.“ Davon sei inzwischen nichts mehr zu merken.

Erdogan in der Kritik

Seine Mutter und zwei Schwestern wohnen in der vom Erdbeben betroffenen Provinz Malatya. Unmittelbar nach der Katastrophe seien sie in der Nähe von Istanbul untergekommen. Mittlerweile befänden sie sich wieder in Malatya. Sein Eindruck: „Die Stadt ist leer, viele sind noch nicht zurückgekommen, traumatisiert sind alle.“ Auch er habe überlegt, seine Familie zu sich nach Nordrhein-Westfalen zu holen. „Meine Mutter hätte das aber nicht gewollt. Sie hätte nach kurzer Zeit gesagt: ‚Ich will wieder zurück, ich will sehen, was da ist, ich muss etwas tun‘.“

Dass Präsident Recep Tayyip Erdogan versprochen hat, die zerstörten Städte binnen eines Jahres wiederaufzubauen, hält er nicht für realistisch – die Aussagen stünden im Zeichen der Wahl. Sie soll am 14. Mai stattfinden. Viele Menschen sind wütend und werfen der Regierung Versagen vor. Zu lange habe es gedauert, bis Hilfen ankämen. Zwar werde die Wahl auch ein Stimmungsbild für das Krisenmanagement des Staatsoberhaupts liefern. „Aber die Anhänger von Erdogan sind so fanatisch, die werden ihm trotzdem folgen“, ist er sich sicher.