Hildesheimer Pilgerkirche wurde zum Literaturhaus

Literaturhaus oder Pilgerkirche? Beides! Seit 2014 ist die Kulturkirche St. Jakobi in der Hildesheimer Fußgängerzone ein Ort für spirituelle und literarische Events.

Die Intendantin Sarah Sophia Patzak organisiert Veranstaltungen im Hildesheimer Literaturhaus St. Jakobi.
Die Intendantin Sarah Sophia Patzak organisiert Veranstaltungen im Hildesheimer Literaturhaus St. Jakobi.Joachim Göres

Wer das Kirchenschiff in der mehr als 500 Jahre alten St. Jakobikirche in Hildesheim betritt, erwartet vieles, aber vermutlich keine Bar. Doch in so einer wird man hier empfangen. An der Seite können es sich Besuchende auf einer Couch gemütlich machen, Stehtische sind mitten im hohen Raum platziert. Durch die kunstvoll gestalteten länglichen Kirchenfenster fällt ein besonderes Licht mit vielen Rot- und Blautönen ein.

Es ist ein besonderer Raum für ein besonderes Programm, denn seit 2014 wird die alte Pilgerkirche St. Jakobi in der Fußgängerzone als Kulturkirche und Literaturhaus für Lesungen, Ausstellungen, Workshops und Diskussionen genutzt.

Begegnungen mit prominenten Gästen

Heute stehen knapp 100 Stühle vor einer Bühne, über der eine Installation angebracht ist, die an Verkehrsschilder erinnert. Fast alle Plätze sind besetzt. An diesem Donnerstagabend sind die Autorin Ulla Lenze („Der kleine Rest des Todes“) und der Schriftsteller Daniel Schreiber („Zeit der Verluste“) zu Gast. Die beiden sprechen mit dem NDR-Moderator Joachim Dicks über das Thema Trauer, über ihre eigenen Erfahrungen damit und die literarische Verarbeitung in ihren Romanen. Es ist ein spannendes Gespräch in einer spannenden Umgebung.

Schon viele prominente Gäste waren hier auf der Bühne. Darunter Annalena Baerbock, Anselm Grün und Ulrich Noethen. Doch es geht nicht nur um Berühmtheit, auch Studierende aus Hildesheim stellen hier immer wieder eigene Texte vor.

„Während der Pandemie konnten wir keine Präsenzveranstaltungen durchführen, doch wir haben in dieser Zeit neue Formate entwickelt, die es ohne Corona vermutlich nicht geben würde und die sich bewährt haben“, berichtet die Intendantin Sarah Sophia Patzak.

„Espresso und Kunsten“ zum Mittagsgebet

Dazu zählt sie den Johannistag, der an Johannes den Täufer erinnert. Dabei kann man verschiedene Stationen in der Kirche ansteuern, zum Beispiel im vergangenen Jahr barfuß ein großes Wasserbecken mit einem Bibeltext durchlaufen und sich danach vom Superintendenten die Füße trocknen lassen.
„Mit unseren spirituellen Angeboten erreichen wir andere Menschen als mit den Literaturveranstaltungen, zu denen viele Studierende kommen. Schön ist, dass sich das Publikum mittlerweile mischt und wir junge Leute auch mit spirituellen Formaten ansprechen, die die Kulturkirche ursprünglich durch ihr Interesse an Literatur kennengelernt haben“, sagt Patzak.

Mit „Espresso und Kunsten“ knüpft die Literaturkirche an die Tradition des Mittagsgebetes an. Immer am letzten Mittwoch im Monat zwischen 12 und 14 Uhr sind Interessierte zu einer kreativen Mittagspause eingeladen, in der es künstlerische Anregungen gibt.

Mehr als 7000 Besuchende imJahr

Seit Corona gibt es den Co-Writing-Space. Das war ursprünglich ein Angebot für Studierende, die oft alleine zu Hause saßen und einsam arbeiteten. In der Kulturkirche können sie an ihren Texten feilen und so der Isolation entfliehen. „Nach dem Abklingen von Corona kamen vor allem junge Leute wieder in größerer Zahl zu unseren Veranstaltungen – sie hatten nicht so viel Angst vor einer Ansteckung“, sagt Patzak. Im vergangenen Jahr gab es einen neuen Rekord bei den Besucherzahlen: Rund 7000 Gästen kamen zu den Veranstaltungen.

Einer Kirchengemeinde ist die Kulturkirche nicht zugeordnet, aber zu besonderen Anlässen gibt es eine Zusammenarbeit. Die Osternacht etwa wurde mit einer benachbarten Gemeinde gefeiert.

Träger ist der Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt, finanziell gefördert wird die Kulturkirche von der Landeskirche Hannovers und durch die Hanns-Lilje-Stiftung. Bis 2025 ist die Förderung gesichert. Außerdem gibt es einen Förderkreis Literaturhaus St. Jakobi Hildesheim.