Die deutsche Wirtschaft schrumpft, bei hohen Ausgaben des Staates. Daher drängt die Bundesregierung auf Reformen. Doch wie und wo reformiert werden muss, darüber sind die Koalitionspartner uneins.
Die schwarz-rote Bundesregierung plant große Sozialreformen. Denn der Sozialstaat ist teuer. Dabei kommen von allen Seiten “gute Vorschläge”. Das sind die wichtigsten Debattenpunkte:
Warum soll gespart werden?
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) betont, der Sozialstaat in seiner jetzigen Form sei nicht mehr finanzierbar. Aus Sicht der Union muss dringend gespart werden. Die Sozialausgaben lagen – inklusive der hohen Ausgaben für Rente und Krankenversicherung – im vergangenen Jahr laut Bundesarbeitsministerium bei rund 1,3 Billionen Euro. Das entsprach gut 31 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit liegt Deutschland über dem Durchschnitt der Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Ein gutes Drittel finanzierte der Staat, etwas mehr die Arbeitgeber und den Rest die Versicherten.
Was sagt der Koalitionspartner SPD dazu?
Die SPD ist offen für Reformen, auch im sozialen Bereich. Die Sozialdemokraten wollen aber nicht am Sozialsystem kürzen, vor allem nicht mit harten Einschnitten. Aus Sicht der Opposition, vor allem der Linken, sollte eher über eine Vermögenssteuer mehr Geld ins System kommen.
Wo soll gekürzt werden?
Die Union hat das sogenannte Bürgergeld in den Blick genommen. Hier will Kanzler Merz rund zehn Prozent beziehungsweise rund fünf Milliarden Euro einsparen. Aus Sicht des Bundesarbeitsministeriums steckt weniger Einsparpotenzial in einer Reform. Im vergangenen Jahr lagen die Ausgaben für das Bürgergeld samt Wohn- und Heizkostenzuschüsse bei rund 47 Milliarden Euro, etwa zehn Prozent des gesamten Bundeshaushalts.
Was ist das Bürgergeld?
Das Bürgergeld soll laut der Bundesarbeitsagentur Menschen, die erwerbsfähig und leistungsberechtigt sind, in Beschäftigung bringen und ihnen den Lebensunterhalt sichern. Es wurde 2023 unter der Regierung von SPD, Grünen und FDP eingeführt. Mit dem Bürgergeld wurden die bis dahin geltenden Hartz-IV-Regelungen abgelöst. Aktuell beziehen rund vier Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter Bürgergeld, etwa 800.000 stocken ihr geringes Einkommen damit auf. Zusätzlich gibt es etwa 1,4 Millionen nicht erwerbsfähige Bürgergeld-Empfänger, darunter Kinder und Jugendliche und gesundheitlich eingeschränkte Menschen. Etwas mehr als die Hälfte der Bezieher sind deutsche Staatsbürger. Unter den Empfängern mit ausländischem Pass stammte der größte Anteil aus der Ukraine mit rund 700.000.
Wie soll gespart werden?
CSU-Chef Markus Söder fordert, dass jeder Arbeit annehmen müsse, der könne. Das heißt, vor allem bei sogenannten Arbeitsverweigerern, weniger als ein Prozent der Leistungsempfänger, soll stärker sanktioniert und auch gekürzt werden. Die Mehrheit der Bundesbürger findet härtere Sanktionen einer Umfrage zufolge richtig. Auch für in Deutschland wohnende ukrainische Flüchtlinge sollte es laut Söder kein Bürgergeld mehr geben. Grundsätzlich heißt es im Koalitionsvertrag, dass das bisherige Bürgergeldsystem zu einer “neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende” umgebaut werden soll.
Wie steht es um die Rentner?
Auch hier will Kanzler Merz ran. So sollen die Bürger über das Rentenalter hinaus im Idealfall länger arbeiten und zur Wirtschaftskraft beitragen. Ein Projekt der Regierung ist die sogenannte Aktivrente. Rentnern, die nach dem Renteneintritt weiter arbeiten möchten, sollen eine Steuerfreiheit von 2.000 Euro monatlich erhalten. Auch die Frühstartrente ist ein Modell. Hiermit sollen Jüngere frühzeitig Kapital für die eigene Rente aufbauen. Auf der anderen Seite wollen Union und SPD die Rentenhöhe von aktuell 48 Prozent des Durchschnittseinkommens bis 2030 erhalten. Einer forsa-Umfrage zufolge sind drei von vier Bundesbürgern für eine Reform des Rentensystems und insbesondere dafür, es zu vereinheitlichen und Beamte und Selbstständige als Beitragszahler einzubeziehen.
Was hält die Opposition dagegen?
Das Bürgergeld sei ein “Scheinriese” und mache auch nur einen kleineren Teil der Sozialstaatsausgaben aus, sagt Linken-Parteichefin Ines Schwerdtner. Stattdessen will die Linke Einnahmen statt Ausgaben in den Fokus rücken – und hohe Vermögen. So plädiert die Partei nicht zum ersten Mal für eine Vermögenssteuer. Diese sieht das Grundgesetz vor, sie ist aber seit 1997 ausgesetzt.
Wie könnte eine Vermögenssteuer aussehen?
Die Linke würde Vermögen ab einer Million Euro besteuern – pro Person. Zunächst mit einem Prozent, ab 50 Millionen mit fünf Prozent und bei mehr als einer Milliarde mit 12 Prozent im Jahr. Schulden würden abgezogen. Am Ende, so die Rechnung der Linkspartei, müssten 1,5 Prozent der Menschen in Deutschland eine solche Vermögenssteuer bezahlen. Zahlreiche Sozialverbände und auch Gewerkschaften sprechen sich für eine Vermögenssteuer aus. Zuspruch gibt es laut Umfragen auch in der Bevölkerung. Die Union ist dagegen, die SPD nicht wirklich dafür, auch wegen der komplizierten Bürokratie. Schaut man auf die Einkommenssteuer, gibt es bereits den Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Dieser ist in den letzten Jahrzehnten eher gesunken, lag in den 1970er und 1980er-Jahren noch bei 56 Prozent. Wer mehr als 277.826 Euro im Jahr verdient, wird derzeit mit der sogenannten Reichensteuer (45 Prozent) besteuert.
Was hat das Ganze mit Erbschaften zu tun?
Die Deutschen vererben jedes Jahr 300 bis 400 Milliarden. Ein Großteil der Erbschaften landet wiederum bei den bereits reichsten Bundesbürgern. Entsprechend wird das große Vermögen in Deutschland, welches die Linken und andere besteuern wollen, größtenteils vererbt.
Wird Erbe besteuert?
Ja, Erbschaften werden in Deutschland besteuert, aber es gibt vor allem für Unternehmen und im privaten Bereich Ausnahmen und Freibeträge. Aus Sicht der SPD sollte daher auch die Erbschaftssteuer reformiert werden. Die CDU wollte bislang nicht an die Erbschaftssteuer ran, könnte sich aber vielleicht jetzt im Gegenzug für Sozialreformen darauf einlassen. Jeder zweite Bundesbürger findet einer repräsentativen Umfrage zufolge die Erbschaftssteuer bereits zu hoch.
Was bewirken neue Beitragsbemessungsgrenzen?
Eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze bei der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung bedeutet, dass Gutverdiener auf einen größeren Teil ihres Einkommens Beiträge zahlen müssen. Zugleich erwerben sie aber auch entsprechend höhere Ansprüche. Medien zufolge will Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung 2026 von 8.050 auf 8.450 Euro pro Monat anheben. Auf das Einkommen bis zu diesem Betrag müssen die Abgaben gezahlt werden. Der Grenzbetrag wird jährlich angepasst.
In einem Referentenentwurf, über den das Portal “Politico” berichtete, ist auch die Veränderung bei der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung erwähnt. Demnach soll im kommenden Jahr die Beitragsbemessungsgrenze bei 5.812,50 Euro statt derzeit 5.512,50 Euro liegen. Die sogenannte Versicherungspflichtgrenze soll demzufolge auch angehoben werden. Wer mit seinem Einkommen die Summe überschreitet, kann sich bei einer privaten Krankenversicherung versichern. Für 2026 soll sie auf 6.450 Euro festgelegt werden, in diesem Jahr sind es 6.150 Euro.