Heilbronner Schau zeigt Frauen-Porträts von Mary Ellen Mark

Unmittelbar und perfekt komponiert – so porträtierte die Fotografin Mary Ellen Mark (1940-2015) Frauen und Kinder auf der ganzen Welt: von Sexarbeiterinnen bis Mutter Teresa. Zu sehen jetzt in der Kunsthalle Vogelmann.

Das Foto ist ein echter Hingucker: Vier ältere Damen stehen in einem sonnenbeschienenen Schwimmbad, die Köpfe auf silbrige Plastikbälle gelehnt, und blicken versonnen zur Seite. Das Bild ist ab Samstag in der Schau „Mary Ellen Mark- The Lives of Women“ in der Kunsthalle Vogelmann in Heilbronn zu sehen. „Mark hat täglich die Zeitungen studiert und war auf der Suche nach Kuriositäten“, erklärt Rita E. Täuber, Mitkuratorin der Ausstellung von Werken der US-amerikanischen Fotojournalistin. Dabei habe Mark entdeckt, dass Florida ein Paradies für Seniorinnen sei – und nahm dort im Jahr 1986 die illustre „Wassergymnastikgruppe“ auf.

Bis zum 28. Juli präsentiert die Ausstellung rund 90 meist in Schwarz-Weiß gehaltene Fotos von Frauen und Kindern am Rande der Gesellschaft. In einer Förderschule in North Carolina lichtete Mark „Amanda und ihre Cousine Amy“ 1990 ab. Das Foto zeigt ein dickes Mädchen mit weißem T-Shirt in einem Planschbecken sitzend. Daneben posiert ein schlankes Mädchen mit geschminkten Augen und lackierten Fingernägeln im Bikini und pustet Zigarettenrauch in die Kamera. „Amanda war schwer erziehbar“, weiß Täuber. „Das Bild zeigt nicht nur Tragik, hier blitzt auch der Witz durch.“

Von Humor zeugen auch die Aufnahmen von Zirkussen, wie „Nilpferd und Dompteuse“ aus Indien, oder solche vom Twin-Festival im US-amerikanischen Twinsburg in Ohio, wo sich jedes Jahr Zwillingspaare versammeln. „Cayla und Mylee Simmermon“ von 2001 zeigt beispielsweise zwei sommersprossige, übergewichtige Mädchen mit geflochtenen Zöpfen. Für einen unifarbenen Hintergrund habe Mark ein Studiozelt aufgebaut, so die Kunsthistorikerin, und dann mit einer überdimensionalen Polaroid-Sofortbildkamera fotografiert – während sie ansonsten mit Klein- und Mittelformatkameras unterwegs gewesen sei.

Vor allem widmete sich Mark prekär lebenden Frauen und Kindern an der Peripherie. Das Straßenkind Tiny fiel ihr 1983 bei einer Bildreportage für das Magazin „Life“ in Seattle auf. Sie gewann ihr Vertrauen und begleitete sie über mehr als 30 Jahre. „Tiny hat mittlerweile zehn Kinder, fünf von verschiedenen Männern und fünf von ihrem jetzigen“, berichtet Täuber. Mark fotografierte Tiny jung und schlank in ihrem Halloweenkostüm: Untypisch für ein Straßenkind trägt sie ein schwarzes Etuikleid, schwarze Handschuhe, eine geflochtene Kappe mit schwarzem Netzschleier, der ihr bis über die Nasenspitze reicht. Mit heruntergezogenen Mundwinkeln und trotzig-traurigem Blick schaut sie in die Kamera. „Hier sieht sie aus wie ein Model.“

Aus der Bekanntschaft mit Tiny entstand der für den Oscar nominierte Dokumentarfilm „Streetwise – Straßenkinder“, Marks erstes gemeinsames Projekt mit ihrem Ehemann Martin Bell. Mit Filmen hatte die Künstlerin bereits zuvor zu tun – als Set-Fotografin von Kino-Klassikern wie Milos Formans „Einer flog über das Kuckucksnest“. 1976 habe sie im Oregon State Hospital, also in der Klinik, in der gedreht wurde, 36 Tage gewohnt und Psychiatriepatientinnen fotografiert – wie „Laurie in der Badewanne“. Zu sehen ist der Kopf einer badenden Frau mit nassen Haaren und traurigem Gesichtsausdruck.

Trotz aller Intimität wirken Marks Bilder nie voyeuristisch. Täuber: „Sie gibt den Frauen und Kindern ihre Würde zurück.“ Vor allem solche in Indien hatten es ihr angetan. Sie besuchte Mutter Teresas Sterbehaus in Kalkutta zwei Mal, half selbst mit und schuf ikonische Fotos wie dasjenige, wo die albanische Nonne einen Mann aus einer Blechkanne füttert oder in einem lichtdurchfluteten Raum die Kommunion verteilt.

Eines war für Marks Arbeiten aus Täubers Sicht immer notwendig: „Sie brauchte Zeit.“ So habe sie für die Fotos von der Falkland Road in Mumbai ein Vierteljahr in der indischen Metropole verbracht, um das Vertrauen der Sexarbeiterinnen in dem berüchtigten Rotlicht-Bezirk zu gewinnen. Hier habe sie gemäß Magazin-Auftrag ausnahmsweise Colorfotos gemacht – und es nicht bereut. Täuber: „Sie sagte, die Farben waren dort das einzig Positive.“