Haruki Murakami wird 75 – Erschaffer geheimnisvoller Welten

Eines seiner Bücher sprengte das „Literarische Quartett“. Seine Leser müssen ohnehin auf alles gefasst sein. Immer wieder wird Haruki Murakami als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt. Jetzt wird er 75 Jahre.

Wer ins Murakami-Universum abtauchen möchte, wirft ein bisschen Jazz an. Duke Ellington oder Nat King Cole zum Beispiel. Auch die Klassik ist geeignet, diesen Weg zu beschreiten. Er führt in surreale Welten, in denen Menschen nach langer Zeit auftauchen und wieder verschwinden, in den Wald, auf den Grund eines Brunnens, in Straßenschluchten. In Welten, in denen Tiere sprechen und mitunter nicht klar ist, auf welcher Ebene sich die Figuren gerade befinden. Die Romane und Kurzgeschichten des Japaners Haruki Murakami können mit all ihren mysteriösen Geschehnissen durchaus einen Sog erzeugen.

Und immer wieder die Musik. In dem Roman „Kafka am Strand“ zum Beispiel diskutieren zwei Figuren darüber, warum die eine so gerne Franz Schubert in voller Lautstärke beim Autofahren hört. In einem anderen Kapitel blickt jemand zu Cream und Duke Ellington auf den Wald – die Beschallung kommt aus einem Discman. Noch so eine andere Welt, aus heutiger Sicht. In den Erzählungen des Bandes „Der Elefant verschwindet“ reicht das Repertoire von Johann Strauss bis Miles Davis. Auch sind einige Buchtitel nach Songs benannt.

Seine Bücher wurden in diverse Sprachen übersetzt. Seit Jahren wird der Schriftsteller als heißer Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt. Viele andere Ehrungen hat Murakami bereits gewonnen: den Prinzessin-von Asturien-Preis im vergangenen Jahr, davor unter anderen den Jerusalem-Preis und den Franz-Kafka-Literaturpreis. Jetzt wird der am 12. Januar 1949 in Kyoto geborene und in Kobe aufgewachsene Murakami 75 Jahre alt.

Er studierte Theaterwissenschaft an der Universität Waseda in Tokio. Nicht immer lebte er in Japan: Es zog ihn auch nach Europa und in die USA, wo er zum Beispiel 1991 eine Gastprofessur an der Universität Princeton annahm. Zu seinen Werken gehören auch Sachbücher, etwa über den Nervengas-Anschlag mit Sarin in der U-Bahn von Tokio, den 1995 Mitglieder der Aum-Sekte verübt hatten. Zudem übersetzte er Werke US-amerikanischer Autoren.

2021 gab Murakami dem „Spiegel“ ein Interview und sagte über sein Schaffen: „Ganz gleich, ob es sich um eine Kurzgeschichte oder einen umfangreichen Roman handelt, ich schreibe immer frei und ohne Plan, was bedeutet, dass während ich schreibe alle möglichen (unerwarteten) Elemente in die Handlung einfließen.“ Diese Unvorhersehbarkeit sei für ihn eine der großen Freuden.

Das dürfte möglicherweise auch für seine Leserinnen und Leser gelten, die auf alles gefasst sein müssen. Wohin geht die Reise der Figuren? Was ist noch Wirklichkeit und was schon Traum? In dem Buch „Mister Aufziehvogel“ etwa, das nach einer Neuübersetzung „Die Chroniken des Aufziehvogels“ heißt, denkt der 30 Jahre alte Protagonist über einen Neuanfang in seinem Leben und noch viel mehr nach – und begibt sich auf den Grund eines ausgetrockneten Brunnens.

Womit jemand mit einem Murakami-Buch in der Hand ebenfalls rechnen muss, ist eine gewisse explizite Sprache, in der Beschreibung von Gewalt oder Sexualität: etwa in „Gefährliche Geliebte“, worin ein Enddreißiger seine Jugendliebe erblickt und er die geheimnisvolle Erscheinung verfolgt. Dieser Roman sprengte einst das „Literarische Quartett“. Als im Jahr 2000 in der Fernsehsendung das Buch besprochen wurde, überwarfen sich Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler.

Sie sprach von literarischem Fast Food, einer Männerfantasie und einem Buch, das keine Sprache habe, er von großer poetischer Literatur. Was Reich-Ranicki sagte, verletzte Löffler so sehr, dass sie die Sendung verließ. Das Problem, das Löffler ansprach, war die Übersetzung. Denn das Buch war nicht aus dem Japanischen übersetzt worden, sondern aus dem Englischen. Die Neuübersetzung aus dem Japanischen lautet „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“ – Nat King Coles „South of the Border“ lässt grüßen.

Murakami führte übrigens mit seiner Frau in den 70er und 80er Jahren eine Jazzbar in Tokio. Im „Spiegel“-Interview wurde er gefragt, welche Verbindungen zwischen seinen Hauptthemen Musik, Baseball, Frauen und Literatur bestünden: „Alle sind wichtige Bestandteile meines Lebens. Das Einzige, was noch fehlt, sind Katzen und Bier.“