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Hamburger Erklärung fordert digitale Teilhabe für alle

Touchscreens, kleine Schriften, fehlende Sprachausgaben: Noch immer schließen viele digitale Angebote sehbehinderte Menschen aus. Experten fordern, Barrierefreiheit selbstverständlich zu machen.

Die Behinderten-Beauftragten fordern mehr digitale Barrierefreiheit – als Grundlage für Gerechtigkeit und Teilhabe
Die Behinderten-Beauftragten fordern mehr digitale Barrierefreiheit – als Grundlage für Gerechtigkeit und TeilhabeImago / W2Art

Die Behinderten-Beauftragten von Bund und Ländern haben bei ihrem Jahrestreffen in Hamburg mehr Barrierefreiheit im digitalen Raum angemahnt. In der verabschiedeten Hamburger Erklärung heißt es, dass Menschen mit Behinderungen die einfache Nutzung digitaler Technologien und umfassende digitale Teilhabe ermöglicht werden müsse, teilte der Hamburger Senat mit. Wenn Digitalisierung barrierefrei und inklusiv gestaltet sei, habe die Technik das Potenzial, bestehende Barrieren abzubauen.

Digitale Teilhabe als Frage der Gerechtigkeit

Die Hamburger Erklärung richtet sich an Bund, Länder und Kommunen. „Digitale Barrierefreiheit ist kein technisches Detail, sondern eine Frage der Gerechtigkeit“, sagte die zuständige Hamburger Senatskoordinatorin Ulrike Kloiber. Nur wenn digitale Angebote von Anfang an barrierefrei gestaltet, klar strukturiert, verständlich und für alle zugänglich seien, könnten alle Menschen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben.

Deutschland habe sich mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet, Barrierefreiheit auch im digitalen Raum sicherzustellen, hieß es. Diese müsse als selbstverständlicher Standard gelten, auch bestehende Gesetze sollten konsequent umsetzt werden. „Digitalisierung darf kein Risiko der Ausgrenzung sein – überall dort, wo digitale Angebote noch nicht ausreichen, brauchen wir weiterhin analoge Zugangswege“, sagte Kloiber.

Digitale Teilhabe beginnt mit barrierefreien Angeboten

Bei der Entwicklung digitaler Angebote müssten Menschen mit ihren individuellen Bedürfnissen in den Mittelpunkt gestellt werden, fordert die Hamburger Erklärung. Jedoch sei das Wissen und die Kompetenz von Entwicklern und Auftraggebern „noch sehr ausbaufähig, hier müssen wir dafür sorgen, dass das Thema der Barrierefreiheit zwingend Bestandteil der Ausbildung wird“, sagte der Behindertenbeauftragte des Bundes, Jürgen Dusel. Barrierefreiheit müsse „von Anfang an auf unserer Checkliste stehen!“

Aktuell sind etwa Touchscreens im Supermarkt, bei der Bahn oder in Arztpraxen für sehbehinderte Menschen eine unüberwindbare Hürde. „Touchscreens, die ohne sprachliche oder haptische Alternativen auskommen, schließen seheingeschränkte Menschen systematisch aus“, kritisierte Heiko Kunert, Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg (BSVH) anlässlich des Sehbehindertentages im Juni.

Sehbehinderte Menschen würden oft an kontrastarmen Darstellungen scheitern. Häufig blende die Beleuchtung des Monitors und die Schrift sei kaum lesbar, kritisiert der BSVH. Kunert: „Hier führt digitale Technik zur digitalen Ausgrenzung.“ In Hamburg geht der Verein von rund 2.070 blinden und hochgerechnet über 40.000 sehbehinderten Menschen aus. In Schleswig-Holstein spricht der örtliche Landesverein von 2.900 blinden Menschen.

Demografischer Wandel erhöht den Bedarf an digitaler Teilhabe

Mit dem demografischen Wandel werde die Zahl der Menschen mit Seheinschränkungen weiter steigen, sagt Kunert. „Was heute als Barriere für eine Minderheit erscheint, betrifft morgen eine große Bevölkerungsgruppe.“ Er fordert Hersteller und Betreiber auf, Geräte barrierefrei zu gestalten. „Es geht nicht um futuristische Technik, sondern um ganz praktische Alltagslösungen.“ Technische Tools wie Sprachausgabe, kontrastreiche Darstellungen oder taktile Markierungen würden längst existieren.

Seit der Einführung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz am 28. Juni müssen zumindest neue Automaten und Terminals barrierefrei sein. Um das Gesetz wirkungsvoller durchzusetzen, fordert die Hamburger Erklärung jetzt zusätzliche Überwachungs- und Durchsetzungsstellen und wirksame Sanktionsmöglichkeiten. Zudem sollte es für mehr digitale Güter und Dienstleistungen gelten: So wollen die Beauftragten unter anderem beruflich genutzte Software, Haushaltsgeräte, Medizinprodukte und Gesundheitsdienstleistungen zur Barrierefreiheit verpflichten.