Artikel teilen:

Haben Museen die Herkunft von NS-Raubkunst verschleiert?

Tricksen staatliche bayerische Museen beim Thema NS-Raubkunst, um von den Nazis gestohlene Kunstwerke nicht zurückgeben zu müssen? Einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ (Donnerstag) zufolge wurden die Nachfahren von enteigneten jüdischen Kunstbesitzern nicht über solche Kunstwerke informiert. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen – zu denen die weltbekannten Pinakotheken in München gehören – weisen die Vorwürfe zurück. Der Zeitungsbericht sei „fehlerhaft und entspricht nicht der Wahrheit“, sagte eine Sprecherin der Museen. Der Zentralrat der Juden fordert schnelle Aufklärung, ebenso wie Bayerns Kunstminister Markus Blume (CSU).

Laut SZ soll den Staatsgemäldesammlungen die Herkunft – in der Fachsprache: Provenienz – etlicher von den Nazis geraubter Kunstwerke seit Langem bekannt sein. Die Zeitung stützt sich auf einen 900-seitigen Auszug einer internen Datenbank von 2020, der ihr vorliegt. Der Auszug enthalte Berichte zu rund 200 möglichen NS-Raubkunstwerken. Die wurden nach der „Provenienzampel“ als „rot“ klassifiziert. Das bedeute, dass es sich mit Sicherheit oder zumindest hoher Wahrscheinlichkeit um Raubkunst handelt. Die Staatsgemäldesammlungen hatten der SZ mitgeteilt, dass die Erben stets informiert worden seien. Die Liste sei ein reines internes Arbeitsmittel, deren Stand sich oft ändere.

Dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte eine Sprecherin der Staatsgemäldesammlungen, man weise die in der SZ veröffentlichte Darstellung „aufs Schärfste zurück“. Die Ampelfarbe „rot“ in der Datenbank werde auch für Werke genutzt, bei denen ein Raubkunstverdacht oder eine Rückgabeforderung vorliegt, also nicht nur für Werke, bei denen eine Raubkunst-Geschichte gesichert ist. Die Infos in der Datenbank änderten sich häufig, die Kategorisierung sei ein „work in progress“, mitunter gebe es auch sich widersprechende Angaben. Dies sei das Wesen wissenschaftlicher Forschung. Alle nachgewiesenen Raubkunstwerke würden in der Online-Sammlung des Museums veröffentlicht.

Laut SZ stammen acht der „rot“ markierten Werke aus der Sammlung des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim. Dessen Erben fordern die Werke seit Jahren zurück, die Staatsgemäldesammlungen hatten bislang betont, sie besäßen die Werke rechtmäßig. Unter diesen Kunstwerken sind sechs Beckmann-Gemälde, eines von Klee sowie eine Picasso-Büste. Die Anwälte der Flechtheim-Erben, Mel Urbach und Markus Stötzel, sagten am Donnerstag, Bayern habe gegen die Washingtoner Prinzipien verstoßen, die den Umgang mit NS-Raubkunst regeln. Das NS-Unrecht werde „auch mehr als 80 Jahre später aufrechterhalten“. Bayern habe „die Ahnungslosigkeit“ vieler Erben „schamlos ausgenutzt“.

Die Kulturstaatsministerin der Bundesregierung, Claudia Roth (Grüne), nannte die SZ-Recherchen am Donnerstag „beunruhigend“: „Es geht um mangelnde Transparenz, möglicherweise um bewusstes Verschleiern und Verhindern von fairen und gerechten Lösungen.“ Es sei schnelle Aufklärung durch die Staatsgemäldesammlungen und das bayerische Kunstministerium erforderlich. Der Freistaat habe sich zur Rückgabe von NS-Raubgut verpflichtet – die Indizien wiesen auf knapp 200 Raubgut-Kunstwerke hin, sagte Roth: „Es wäre ein Skandal, wenn hier Erkenntnisse über NS-Raubkunst bewusst zurückgehalten wurden und werden.“ Der Fall zeige auch, wie wichtig eine Schiedsgerichtsbarkeit sei.

Der bayerische Kunstminister Blume sagte auf epd-Anfrage am Donnerstag: „Ich erwarte von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, dass sie sich unverzüglich und lückenlos mit den Vorwürfen auseinandersetzen. Dazu haben wir als Kunstministerium eine umfassende Stellungnahme angefordert.“ Der CSU-Politiker betonte weiter: „Es darf keinerlei Zweifel bleiben an der notwendigen Sorgfalt bei der Provenienzforschung wie auch an der Transparenz bei der Restitutionspraxis.“ Man werde „alles tun, um beschädigtes Vertrauen wiederherzustellen“, erläuterte Blume: „Bayern stand und steht ohne Wenn und Aber zur Wiedergutmachung von erlittenem NS-Unrecht.“

Flechtheim-Erbe Michael Hulton zeigte sich angesichts der Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ erschüttert: „Die Nazis haben meinen Großonkel Alfred Flechtheim entrechtet, enteignet und vertrieben, sie haben sein Leben zerstört.“ Der Freistaat Bayern habe „uns jahrelang belogen und versucht, das historische Unrecht zu vertuschen“, um die Werke behalten zu können, zitieren ihn seine Anwälte. Die wiederum fordern eine „umgehende Offenlegung“ aller bekannten Raubkunstfälle in Bayern. „Jetzt muss alles auf den Tisch“, die Zeit der Ausreden sei vorbei. Man werde im Sinne der Erben alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Verantwortlichen „zu rechtmäßigem Verhalten zu zwingen“.

Ein Sprecher des Zentralrats der Juden in Deutschland sagte auf epd-Anfrage, man erwarte „eine umfassende und schnelle Aufklärung“ sowie eine Stellungnahme der Gemäldesammlung und der politisch Verantwortlichen in Bayern: „Wenn die Recherchen der ‘Süddeutschen Zeitung’ über zurückgehaltene Informationen zu NS-Raubkunst in der staatlichen Gemäldesammlung des Freistaats Bayern zutreffen, dann wäre das ein Eklat.“ (0634/20.02.205)