Gysi: „Ohne die Kirchen wären wir eine moralfreie Gesellschaft“

KÖLN – Gregor Gysi (69) findet Papst Franziskus „geradezu fantastisch“. Er stelle Menschheitsfragen und setze sich wie das ursprüngliche Christentum für Gerechtigkeit ein, sagte Gysi kurz vor Weihnachten im Kölner „Domradio“. Innerkirchlich stoße der Papst aber nicht bei allen auf Zustimmung, so der Rechtsanwalt. So habe er in einem Streitgespräch heftige Angriffe eines Klostervorstehers gegen Franziskus abwehren müssen. Gysi: „Das ist meine neue Aufgabe geworden: Den Papst verteidigen.“ In einer Krise der katholischen Kirche hätten die Kardinäle in Franziskus den richtigen Papst gesehen, sagte der Politiker. „Nun haben sie ihn gewählt und sind teils trotzdem nicht zufrieden damit und stellen ihm ein Bein.“
Für Gysi sind die Kirchen in der Lage, allgemeine Moralvorstellungen in der Gesellschaft zu verankern. „Wenn es sie nicht gäbe, würde das niemand tun.“ Zwar habe es vor Jahrzehnten auch die Linke geschafft, Moralvorgaben zu machen. Aber nach dem Scheitern des Staatssozialismus könne sie das nicht mehr allgemeinverbindlich tun, so der langjährige Fraktionsvorsitzende. „Deshalb wären wir jetzt ohne die Kirchen eine moralfreie Gesellschaft." Allerdings sieht Gysi auch einen schwindenden Einfluss der Kirchen.
Der Politiker plädierte für eine Trennung und „klare vertragliche Regelungen“ zwischen Staat und Kirche. Der „Schadensersatz“ für die vor 200 Jahren erfolgten Enteignungen der Kirchen „sollte langsam mal auslaufen“; es brauche eine Vereinbarung für die Staatsleistungen mit einer Auslauffrist von zehn bis 15 Jahren. Gysi wandte sich auch gegen den Kirchensteuereinzug durch das Finanzamt: „Das ist mir zu nah und zu eng.“ Umgekehrt benötigten die Kirchen Finanzen, um Krankenhäuser, Heime und andere Einrichtungen zu finanzieren. KNA