„Gut, dass es hier einen Arzt gibt“

Der Internist Marco Burger versorgt Wohnungslose im Tagestreff „Iglu“ in Braunschweig. Sein Engagement ist freiwillig – wie viele Angebote dieser Art.

Der Arzt Rainer Prönneke mit einem Patienten im Tagestreff "Iglu"
Der Arzt Rainer Prönneke mit einem Patienten im Tagestreff "Iglu"Peter Sierigk / epd

Braunschweig/Berlin. Hartmut Koschniczke ist zufrieden. Er hat ein warmes Plätzchen im „Iglu“ ergattert. Passender als heute könnte der Name des Braunschweiger Tagestreffs, der seit 35 Jahren Wohnungslosen hilft, kaum sein. Draußen sind es nur wenige Grade über null, um die Häuser pfeift nasskalter Wind. Koschniczke wärmt sich die Hände an einer Tasse Kaffee. „Ein Kaffee am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen“, reimt der Mann mit dem langen Bart – und ahnt noch nicht, dass er heute tatsächlich eine seiner Sorgen loswerden wird.

Es ist Notfallsprechstunde im Tagestreff der Dachstiftung Diakonie. Heute hat Marco Burger Dienst. Der Internist kümmert sich seit anderthalb Jahren abwechselnd mit seinen Kollegen Rainer Prönneke und Christoph Menze ehrenamtlich um die medizinische Versorgung der Obdachlosen im „Iglu“. Wunden verarzten, Schmerzmittel verteilen, Verbände erneuern – und natürlich impfen gegen Corona. Für Koschniczke hat Burger Johnson & Johnson dabei. „Ich wusste gar nicht, dass ich eine zweite Spritze brauche“, sagt Koschniczke überrascht, zögert nicht lang und krempelt bereitwillig einen Ärmel hoch. „Gut, dass es hier einen Arzt gibt“, sagt der 59-Jährige.

Flexible Angebote

Medizinische Versorgungsprojekte für Obdachlose wie im „Iglu“ gibt es in Niedersachsen und Bremen einige: im Kontaktladen „Mecki“ in Hannover zum Beispiel oder im Café Papagei des Vereins für Innere Mission Bremen. Dazu kommen flexible Angebote wie das Zahnmobil oder Visiten direkt auf der Straße, wie sie die Bremer Obdachlosenärztin Gabriele Steinbach seit mehr als elf Jahren anbietet.

Im "Iglu können Obdachlose endlich entspannen
Im "Iglu können Obdachlose endlich entspannenPeter Sierigk / epd

Viele dieser Versorgungsangebote basieren auf freiwilligem Engagement. Experten sehen das durchaus auch kritisch. Zwar müsse das niedrigschwellige Angebote in der ärztlichen Versorgung wohnungsloser Menschen ausgebaut und systematisiert werden, sagt Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen. „Derzeit aber sind die Angebote zu stark von örtlichen und persönlichen Initiativen abhängig.“

Das findet auch Werena Rosenke, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W). „Die Pandemie hat gezeigt, wie schnell Versorgungsstrukturen, die auf Freiwilligkeit basieren, wegbrechen können“, sagt sie. Viele Ärzte, die Bedürftigen ehrenamtlich geholfen haben, seien selbst Risikopatienten und hätten aus Angst vor einer Corona-Ansteckung ihre Arbeit eingestellt. „Davon dürfen wir nicht anhängig sein.“

Über Fond finanziert

Der BAG W fordert die medizinische Notfallversorgung auszubauen und flächendeckend über einen Bundesfond zu finanzieren und abzusichern. Gerade in kleineren Städten fehle es an niedrigschwelliger Erstversorgung, sagt Rosenke. Wichtig sei es, dass die Angebote eine Brücke in die Regelversorgung schlagen. Begriffe wie „fehlende Wartezimmertauglichkeit“, die man bezogen auf Wohnungslose immer wieder höre, seien inakzeptabel. „Gesundheit ist ein Menschenrecht.“

Dass es Obdachlose in normalen Praxen oft schwer hätten, bestätigt Burger. „Viele haben keine Krankenversichertenkarten, selbst wenn sie versichert sind“, sagt er. Und auch die Wartezeit hielten die meisten nicht aus. Dirk Krause nickt. Er hat zwölf Jahre lang auf der Straße gelebt und ist heute ebenfalls zur ärztlichen Sprechstunde ins „Iglu“ gekommen. Eine richtige Praxis, Termine merken, lange Wartezeiten – das sei nichts für ihn. „Da ist das hier viel besser“, sagt er.

Keine Parallelwelten

Lenke warnt indes, die niedrigschwelligen Notversorgungsangebote dürften nicht zu einer „dauerhaften Parallelwelt“ führen, mit der sich die Gesellschaft arrangiere. „Es muss in einer Krankheitssituation auch für wohnungslose Menschen eine reguläre ärztliche Behandlung angestrebt werden“, sagt der Diakonie-Chef. (epd)