Auch in Österreich ist der Kirchenaustritt ein großes Thema. Der künftige Wiener Erzbischof mahnt zu einem differenzierten Blick – und ist überzeugt, dass man die Kirche nicht “hip machen” müsse.
Der ernannte Erzbischof von Wien, Josef Grünwidl, hält es für unangebracht, von aus der Kirche Ausgetretenen als “verlorenen Schäfchen” zu sprechen. “Es tut mir natürlich leid um jeden und jede Einzelne, aber oft bedeutet der Kirchenaustritt nicht, dass die Menschen sich automatisch auch vom Glauben oder von Gott abwenden”, sagte Grünwidl im Interview der “Kronen Zeitung” (Sonntagsausgabe). Die Betreffenden blieben getauft, viele seien auch weiterhin im Gebet mit Gott verbunden und hielten an ihrer christlichen Lebensführung fest.
Im Jahr 2024 sind knapp 72.000 Menschen in Österreich aus der katholischen Kirche ausgetreten. Grünwidl betonte, die Kirche bemühe sich bei jedem Kirchenaustritt um ein Gespräch über die Beweggründe, was einige auch in Anspruch nähmen. Auf die Frage, ob er die katholische Kirche wieder “hip machen” werde, antwortete der designierte Erzbischof: “Ich glaube, man muss die Kirche nicht hip machen, weil sie hip ist.” Er wolle einen Beitrag leisten, dass die Kirche nicht weniger wichtig in der Gesellschaft wird, auch wenn sie zahlenmäßig kleiner werde. Grünwidl unterstrich, “dass alle bei uns willkommen sind. Egal, ob jemand katholisch ist oder nicht”.
Bei seiner Ausübung des Amts als Wiener Erzbischof wolle Grünwidl seine langjährige Erfahrung als Pfarrer in vielen Gemeinden einbringen. Dieser seelsorgliche Zugang sei ihm auch in seiner neuen Aufgabe sehr wichtig: “Menschen begegnen, ihnen gut zuhören und versuchen, gute Lösungen für sie zu finden und Hilfe aus dem Glauben anzubieten. Nicht nur über Social Media, sondern wirklich ‘face to face’.”
Dass die Muslime in Österreich mit etwas mehr als 700.000 Mitgliedern eine wachsende Religionsgemeinschaft sind, soll laut Grünwidl Anlass für eine Selbstbefragung der mehrheitlich christlichen österreichische Bevölkerung sein: “Wie wichtig ist uns das Christentum? Lasse ich meine Kinder taufen? Stehe ich zur Kirche? Ist der Glaube ein Wert, den ich auch verteidige?”
Zugleich warnte Grünwidl vor Pauschalverdächtigungen oder -urteilen gegenüber dem Islam. Es gebe hier, wie auch in allen anderen Glaubensgemeinschaften, extremistische oder gar gewalttätige Gruppierungen. Deshalb sei es wichtig, zwischen dem Islam und dem Islamismus beziehungsweise dem politischen Islam zu unterscheiden. Grünwidl zeigte sich überzeugt, “dass es in unserem Land sehr viele Muslime gibt, die gut integriert sind und die sich bemühen, sich in der westlichen Welt, in einem demokratischen Land, gut einzubringen”. Integration werde schwerer, “wenn man andere von vornherein ausgrenzt oder etikettiert”.
Grünwidl (62) war am 17. Oktober von Papst Leo XIV. zum Erzbischof von Wien ernannt worden. Zuvor hatte er die Erzdiözese nach dem Rücktritt von Kardinal Christoph Schönborn bereits übergangsweise als Apostolischer Administrator geleitet. Seine Bischofsweihe soll am 24. Januar kommenden Jahres im Wiener Stephansdom stattfinden. Als Hauptkonsekrator ist Kardinal Schönborn vorgesehen.