Die Grube Messel wurde vor 30 Jahren erste Weltnaturerbe-Stätte der Unesco in Deutschland. Für Krister Smith, Abteilungsleiter Messelforschung und Mammalogie bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, ist die südhessische Fossilien-Fundstätte „ein Urzeitparadies“, das „einen einzigartigen Einblick in ein Ökosystem unter Treibhaus-Klimabedingungen“ gewährt.
epd: Herr Smith, was ist für Sie als Wissenschaftler das Besondere an der Grube Messel?
Krister Smith: Messel ist ein Urzeitparadies. Es gibt ein paar Punkte, die Messel einzigartig machen. Zunächst mal wurde Messel zu einer Zeit abgelagert, als Umweltbedingungen herrschten, auf die wir rapide zusteuern. Damals gab es viel CO2 in der Luft, viel mehr als heute. Wenn wir also wissen wollen, wie ein Ökosystem funktioniert unter solchen Bedingungen, dann ist Messel vielleicht unsere beste Möglichkeit.
Zudem bietet Messel ausgezeichnet erhaltene einzelne Fossilien. Wir sehen nicht nur isolierte Knochen, sondern ganze Skelette und auch Weichteile. Da können wir das Gefieder oder die Beschuppung, die Behaarung von den Landwirbeltieren beobachten. Wir können Mageninhalt untersuchen. Wir haben dann auch nicht nur Wirbeltiere, sondern wir haben sehr, sehr viele Pflanzen, sehr viele Insekten und anderen Wirbellose und wir haben die Wirbeltiere, wir haben sogar Pilze, und die sind alle in dieser fantastischen Lagerstätte abgelagert. Das gibt uns dann einen Einblick in das gesamte Ökosystem und das können wir praktisch fast nur in Messel.
epd: Für die Wissenschaft ist Messel also Gold wert. Wie konnte die Politik in den 1970er Jahren auf die Idee kommen, dieses Urzeitparadies zur Mülldeponie zu machen?
Smith: Als Politiker muss man sich Fragen stellen, die ich mir glücklicherweise nicht stellen muss. Und darüber kann ich mich freuen. Also damals haben sie bestimmt gedacht, da gibt es ein großes Loch in der Erde, und das ist ein seltenes Gut. Und wir haben ein Müllproblem. Dann gibt es vielleicht die Möglichkeit, dass man quasi zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt. Und das kann man irgendwie nachvollziehen. Aus damaliger Perspektive muss man auch sagen: Das Eozän – das Erdzeitalter, aus dem die Messelfunde stammen – war als Thema nicht ganz so klar bekannt. Umweltveränderungen und Erderwärmung spielten in der öffentlichen Diskussion nicht gerade eine Rolle. Ebenso war die erstaunliche Erhaltung der Fossilien nicht so klar, denn bis dahin hat man kaum diese Fossilien erhalten, also konservieren können.
epd: Woran haperte es dabei?
Smith: Vor 150 Jahren hat man das erste Fossil gefunden, das war ein großes Krokodil. Sie sind verhältnismäßig leicht zu konservieren, weil sie so massig sind. Aber bei den anderen Dingen, da hat man viele gesammelt und man konnte sie auf Dauer kaum erhalten. Mittlerweile konserviert man Pflanzen und Insekten unter Glycerin, so können wir sie auf Dauer erhalten und das ist super.
Darüber hinaus verwenden wir für Wirbeltiere die sogenannte Transfermethode (bei der das Fossil vollständig aus dem Ölschiefer entfernt wird, Anmerkung der Redaktion). Diese Methodik wurde erst in den 1960er Jahren entwickelt. Und sie wurde dann von Privatleuten in Messel angewendet, die anfingen, dort zu graben, und durch deren Einsatz wurde die wissenschaftliche Welt erneut aufmerksam auf diesen Schatz. Und dann fingen die Wissenschaftler auch an, in Messel zu graben. Seit 1975 gibt es systematische Ausgrabungen. Wir begehen also 2025 insgesamt drei Jahrestage: 150 Jahre seit dem ersten Fund, 50 Jahre systematische Ausgrabung und 30 Jahre Unesco-Anerkennung.
epd: Wurde denn der Großteil der bis heute 1.409 verschiedenen Gruppen von fossilen Lebewesen in der Grube Messel in jüngerer Zeit gefunden?
Smith: Die Mehrheit auf jeden Fall seit Beginn der systematischen Ausgrabungen, weil seit 1975 Senckenberg und auch das Hessische Landesmuseum Darmstadt regelmäßig jedes Jahr Grabungsteams in der Grube haben. Das führt dann natürlich zu mehr Funden. Aber einiges wurde schon vor rund 100 Jahren beschrieben, zum Beispiel viele Insekten und Pflanzen, doch leider gab es bei den Pflanzen und Insekten und auch bei den Weichteilen das Problem mit der Konservierung damals. Bei den Wirbeltieren wurde die überwiegende Mehrheit in der neueren Zeit gefunden und beschrieben.
epd: Über wie viele Funde insgesamt reden wir eigentlich?
Smith: Ich kann keine Zahl von allen Fossilien nennen. Das würde auch die Einzeller, die Algen miteinbeziehen. In einem Fachartikel sind wir auf zusammen knapp 2.000 Amphibien, Reptilien, Säugetiere und Vögel gekommen, mit den gefundenen Samen und Früchten waren es mehr als 4.200. Da sind keine Fische dabei, aber wir haben Tausende in unserer Sammlung.
Bei den Pflanzen und Insekten gibt es jeweils Zehntausende von Funden. Wir versuchen aber in der Paläontologie vor allem festzustellen: Wo ist Artenreichtum, Artenvielfalt am größten? Wenn ich heute in den Wald gehe, dann ist es meistens so, dass ich am Anfang die häufigen Arten finde und dann dauert es länger, bis man die seltenen Arten findet. Leicht zu finden sind Rehe, Wildschweine, Hasen. Aber du musst lange suchen, bis du einen Luchs oder einen Dachs findest, weil sie eben selten sind. Und ähnlich geht es in der Paläontologie.
epd: Wie genau gehen Sie da vor?
Smith: Es gibt dafür Methoden aus der Ökologie, mit denen man Stichprobengröße auf der einen Seite und Artenvielfalt auf der anderen Seite zusammenbringen kann, dass man sie vergleichen kann. Die sind mittlerweile ziemlich raffiniert, und die haben wir hier angewendet. In Messel kennen wir schon viele Arten, vor allem die häufigen Arten kennen wir vermutlich alle. Aber wir sind noch dabei, die seltenen Arten zu finden. Das wird leider schwieriger und schwieriger.
epd: Seltene Arten finden: Ist das Ihr Plan für die Zukunft?
Smith: Das wollen wir auf jeden Fall. In dieser einzigartigen Fundstelle wäre es natürlich nett, wenn wir die Artenvielfalt so gut wie möglich vervollständigen könnten. Es obliegt uns aber jetzt, das Ökosystem in seiner Gesamtheit besser zu verstehen. Das heißt, wir wollen wissen, nicht nur, wie viele Arten es gegeben hat, sondern wie sie miteinander verbunden waren, wie das Ökosystem funktionierte, wie das Nahrungsnetz aussah. Also ist dieses relativ einfache Ziel, die Artenvielfalt kenntlich zu machen, wirklich nur eines von vielen mittlerweile. Ich habe am Anfang erwähnt, Messel gibt uns einen einzigartigen Einblick in ein Ökosystem unter Treibhaus-Klimabedingungen. Also wäre das dann ein super interessantes Forschungsfeld mit hoher gesellschaftlicher Relevanz.