„Green Border“ – Wenn Geflüchtete als Waffen angesehen werden

„Green Border“ ist ein multiperspektivisches Drama um eine Gruppe von Flüchtlingen, die beim Versuch, die Grenze zwischen Belarus und Polen zu überwinden, von beiden Seiten immer wieder brutal zurückgetrieben werden.

Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland dreht dem Wald die Farbe raus. Der Bialowieza-Nationalpark wird vom Refugium für bedrohte Flora und Fauna, von einem der letzten Urwälder Europas, zur Grenzregion. Eine Grenze, die nicht nur Polen von Belarus trennt, sondern Europa von der Welt. Für Bashir (Jalal Altawil), Amina (Dalia Naous), ihre Kinder und den Großvater (Mohamad Al Rashi), die aus der zwischen IS und Assad-Truppen umkämpften Stadt Harasta fliehen, ist mit Europa die Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit verbunden.

Doch die Rosen, die die Stewardessen vor der Landung in Minsk im Flugzeug verteilen, bleiben die letzte Willkommensgeste für die syrische Familie. Zwar wartet vor dem Flughafen der versprochene Bus, der die Familie nach Polen, Deutschland und schließlich Schweden schleusen soll. Doch die Reise endet im Niemandsland. Die belarussischen Grenzwächter nehmen der Familie 300 Euro ab und jagen sie durch den Zaun nach Polen.

Die polnische Seite des Bialowieza-Urwalds soll die erste Etappe auf dem Weg nach Schweden sein. Doch die grüne Grenze entpuppt sich als Fegefeuer, das die Familie nicht mehr loslassen wird. Wieder und wieder werden die Geflüchteten aufgegriffen und nach Belarus zurücktransportiert. Anfangs locken die Grenzsoldaten mit Schokolade und Zigaretten, versprechen eine schnelle Überfahrt nach Deutschland. Später, als die Flüchtlinge von den belarussischen Grenztruppen nach Polen gejagt werden, zwingt man sie unter Schreien und Schlägen.

„Green Border“ malt den tödlichen Zyklus mit allen sadistischen Details aus. Die belarussischen Grenzsoldaten gießen volle Wasserflaschen vor den verdurstenden Menschen aus, die polnischen Konterparts werfen ihnen eine Karaffe hinterher, die mit Glassplittern gefüllt ist. Ein Schäferhund wird auf den Großvater losgelassen. Sein Biss infiziert sich, die Füße faulen vor Kälte und Feuchtigkeit, die schwangere Amina droht ihr ungeborenes Kind zu verlieren. Es gibt kein Asyl für die Hilflosen, nur das Elend.

Der Film von Agnieszka Holland ist eine Anklage der europäischen Flüchtlingspolitik. Eine Absage an den gesamteuropäischen Versuch, sich aus der moralischen Verantwortung gegenüber den Menschen herauszuwinden, die ertrinken, erfrieren und verhungern. In der Realität, der Hölle zwischen Polen und Belarus, gibt es die von der Politik herbeifabulierten Mittelpositionen nicht. Das illustriert nicht allein das elende Einzelschicksal der Geflüchteten, sondern auch die polnische Gegenperspektive.

Jan (Tomasz Wlosok) und Julia (Maja Ostaszewska) sind die Figuren, die den Beweis aus polnisch-europäischer Perspektive antreten. Jan ist Grenzsoldat. Von der Rede seines Vorgesetzten agitiert, dass Flüchtlinge keine Menschen, sondern Waffen im Dienst der hybriden Kriegsführung Putins und Lukaschenkos seien, patrouilliert er am Zaun, „um Polen zu schützen“. Doch auch er muss sich zunehmend einer bitteren Realität stellen, in der ihm die „Waffen“ als Menschen begegnen. Als Wesen, die schreien, weinen, um ihr Leben flehen und sterben. Gestorben aber, so die Losung der Truppe, wird in Belarus.

Neben jenen, die entmenschlicht werden, und denen, die entmenschlichen, bezieht der Film auch die Freiwilligen ein, die das erlaubte und nicht erlaubte Minimum an humanitärer Hilfe zu leisten versuchen. Julia, die im Grenzgebiet lebt, wird Zeugin eines grausamen Todes und bietet fortan Heim und Hof als Basis der Hilfsaktionen an.

„Green Border“ ist ein Themenfilm mit Haut und Haar, bleibt dabei aber standhaft auf der Seite des Humanismus; er öffnet sich keinem politischen Raum, der Argumentationen für beide Seiten zulassen würde, sondern hämmert stattdessen zweieinhalb Stunden lang auf den Status quo der europäischen Asylpolitik ein. Mit seiner Unnachgiebigkeit im Dienst des Guten steht und fällt der Film.

Agnieszka Holland und ihr Kameramann Tomasz Naumiuk entwerfen einen ästhetischen Großangriff. Sie wechseln von pseudo-dokumentarischen Aufnahmen an der grünen Grenze zu aufwändig komponierten Tableaus, hasten den Flüchtenden in wackligen Aufnahmen im Wald hinterher und basteln für große Momente statische Tarkowski-Zitate zurecht. Auf die Unmittelbarkeit der Einzelschicksale folgt eine mal ostentativ ins Bild gerückte, mal geradezu beiläufig ein ganzes Leben einfangende Symbolsprache.

Auf das Bild der ausgezehrten syrischen Familie, die vor dem Wandbild einer Europa-Flagge kauert, folgt im Epilog die Aufnahme eines ukrainischen Kindes, das im eigenen Reisepass blättert, als suche es vergeblich nach etwas, was dieses seltsame Buch für alle anderen so interessant macht. Mit starken und schwachen Bildern schlägt „Green Border“ zweieinhalb Stunden lang die gleiche Note an. In der aufrichtigen Hoffnung, dass der Ton einmal nicht verhallt.

Das Flüchtlingsdrama traf in Polen beim Start wenige Wochen vor den Parlamentswahlen im Oktober 2023 einen Nerv der Gesellschaft, die den nationalpopulistischen Kurs der PiS-Regierung nicht weiter mittragen wollte. Der Film ist auch der aktuelle „Kinotipp der katholischen Filmkritik“.