Hier feiert eine Gemeinde Gottesdienst im Wohnzimmer

Angestoßen durch die Pandemie, hat die Creative Kirche den Wohnzimmergottesdienst entwickelt. Durch das Online-Projekt aus Nordrhein-Westfalen ist eine Gemeinde entstanden, die bis heute Bestand hat.

Der 100. Wohnzimmergottesdienst ging im Frühjahr auf Sendung. Zur Aufnahme in Witten waren Menschen aus der virtuellen Gemeinde aus ganz Deutschland eingeladen.
Der 100. Wohnzimmergottesdienst ging im Frühjahr auf Sendung. Zur Aufnahme in Witten waren Menschen aus der virtuellen Gemeinde aus ganz Deutschland eingeladen.Creative Kirche

Ohne Corona würde es die Wohnzimmergottesdienste (WZG) nicht geben. „Das Projekt ist ganz klar ein Pandemie-Gewächs“, sagt Matthias Kleiböhmer. Er ist Bereichsleiter für Kommunikation und Spiritualität bei der Creativen Kirche (Crea) in Witten. Die Wohnzimmergottesdienste waren früh am Start. Schon am 15. März 2020 lief der erste Gottesdienst. Kurz darauf kam der erste Lockdown.

„Ich bin mit einer Mikrobiologin verheiratet“, erzählt Matthias Kleiböhmer. „Sie sagte mir, was uns erwartet: Dass das rund drei Jahre dauern wird und wir ,eingesperrt‘ werden.“ Sie sollte recht behalten. „Deswegen war ich früher im Tief als die meisten anderen – aber auch früher wieder raus und konnte aktiv werden“, sagt der Theologe.

Verbundenheit spürbar

Schnell war den Verantwortlichen der Creativen Kirche klar, dass sie etwas anbieten wollen. „Die Crea hatte schon vorher mal überlegt, ein digitales Angebot zu starten. So entstand in kurzer Zeit die Idee zum Wohnzimmergottesdienst“, berichtet Kleiböhmer. Genauso schnell wurde die Idee dann auch umgesetzt.

Anfangs waren alle Beteiligten in ihrem eigenen Wohnzimmer. Anders war es durch den Lockdown auch nicht möglich. „Der Gottesdienst wurde zusammengeschnitten aus fünf Wohnzimmern.“

Samuel gehört zu der Communitiy – zu den Menschen, die regelmäßig die WZG anschauen und an Veranstaltungen teilnehmen. Fast von Beginn an hat Samuel die Wohnzimmergottesdienste verfolgt. „Das war für mich eine Art Auffangstation. Auch wenn die Gemeinschaft nicht ,in echt‘ stattfand, habe ich die Verbundenheit gespürt“, sagt der 32-Jährige aus Hamburg. Von seinen Eltern hat er davon erfahren – sein Vater war bei Chorprojekten der Crea in Dortmund und Münster dabei. „Gerade in der Corona-Zeit war das toll. Die Gottesdienste sind gut gemacht, so authentisch. Ich schaue sie regelmäßig an“, sagt Samuel.

Studio mit Wohnzimmeratmosphäre

Regelmäßig – in der ersten Zeit war das jede Woche. Jetzt wird jeden zweiten Sonntag um 11 Uhr ein Wohnzimmergottesdienst auf dem Youtube-Kanal der Creativen Kirche online gestellt. Inzwischen werden die Gottesdienste nicht mehr in heimischen Wohnzimmern produziert, sondern in einer Art Studio in den Räumen der Crea in Witten. „Unser Studio heißt Wohnzimmer und sieht auch so aus“, sagt Matthias Kleiböhmer. „Wir haben kein Kirchengebäude und außerdem wollten wir in die Situation gehen, in der auch unsere Zuschauerinnen und Zuschauer sind.“

Zum Team des Wohnzimmergottesdienstes gehören fünf Moderatoren, die sich abwechseln, wie Kleiböhmer berichtet. Vier von ihnen predigen auch. Die Musik ist ein wichtiger Bestandteil des Gottesdienstes. Da wechseln sich mehrere Musiker und Musikerinnen ab. Hinter den Kulissen arbeiten zwei Techniker. „Immer wieder haben wir auch Gastprediger oder -predigerinnen. Aber es gibt Menschen, die bei uns nicht predigen wollen, weil beim Wohnzimmergottesdienst im Sitzen gepredigt wird“, erzählt Matthias Kleiböhmer. Auch ablesen ist beim WZG nicht vorgesehen.

„Die Predigten bei uns dauern zwischen 15 und 17 Minuten. Wenn jemand von uns predigt, schicken wir uns die Predigten per Sprachnachrichten zu und unterstützen uns gegenseitig.“ Auch Ehrenamtliche dürfen predigen, Talare gibt es nicht.

Gekommen um zu bleiben

Während der Corona-Zeit schauten rund 3000 Menschen Woche für Woche den WZG. Das hat sich etwas reduziert. „Rund 3700 Leute haben den WZG abonniert, innerhalb von zwei Wochen nutzen uns etwa 1700 Menschen“, zählt Kleiböhmer auf. „Wir haben eine feste Communitiy. Wir sind eine Gemeinde, aber eben ganz anders als eine Gemeinde vor Ort.“ Der WZG ist zu einer Einrichtung auf Dauer geworden. „Wir sind gekommen, um zu bleiben“, betont Matthias Kleiböhmer.

Samuel findet das gut. Seine Freundin Anna ebenfalls. Die beiden haben sich durch den Wohnzimmergottesdienst kennengelernt – bei einem Treffen der Community im Kloster Volkenroda in Thüringen. „Ich bin nach dem ersten Pandemiejahr auf den WZG gestoßen“, sagt Anna. Als die Crea ein Treffen für die Zuschauerinnen und Zuschauer in Volkenroda angeboten hat, haben sich beide angemeldet. „Wir sind auch dieses Jahr wieder dabei“, sagen sie.

Community-Treffen im realen Leben

„Ich schätze die Offenheit der Gedanken bei den Predigten im Wohnzimmergottesdienst“, sagt Anna. „Sie haben eine klare Botschaft, aber ohne jemanden zu bevormunden.“ Samuel und Anna führen eine Fernbeziehung. „Manchmal können wir ihn zusammen anschauen. Wenn wir getrennt sind, schaut ihn jeder für sich und wir tauschen uns aus. Auch das schafft Verbindung“, sagt Samuel. Beide waren bei der Aufzeichnung zum 100. Wohnzimmergottesdienst im Frühjahr dabei. „Das hat uns gefallen“, berichtet Samuel.

Matthias Kleiböhmer erzählt, dass das WZG-Team überrascht war von der großen Nachfrage nach dem Community-Treffen in Volkenroda. „Wir dachten, wir versuchen das mal und haben mit etwa 40 Anmeldungen gerechnet, aber es waren viel mehr“, sagt er. Dieses Jahr können 100 Menschen mit. Doch die Nachfrage ist größer. „Wir überlegen, demnächst drei Treffen im Jahr anzubieten.“

„Auf‘n Kaffee“ als digitales Predigtnachgespräch

Neben dem WZG gibt es ein weiteres digitales Angebot: „Auf‘n Kaffee“ – dahinter verbirgt sich ein Gespräch über die Predigt und darüber, was der Prediger oder die Predigerin glaubt. „Das Gute an digitalen Angeboten ist, dass man sie jederzeit abrufen kann.“

Das Projekt Wohnzimmergottesdienst hat den Förderpreis „teamgeist“ der Evangelischen Kirche von Westfalen verliehen bekommen. „Davon und von Spenden finanzieren wir den WZG“, sagt Kleiböhmer. Ohne Spenden wäre das Projekt nicht möglich. „Es ist echt toll, was für eine Gemeinschaft da entstanden ist.“