Göttliches in schwacher Gestalt

In der Weihnachtsgeschichte erhalten Windeln erstaunliche Aufmerksamkeit. Sie werden zum Merkmal des Göttlichen. Ein Wort zum Fest von Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der EKD.

In Windeln gewickelt, liegt das Kind in der Krippe
In Windeln gewickelt, liegt das Kind in der KrippeImago / Eberhard Thonfeld

Alle sieben Jahre kann man sie in Aachen besichtigen, die übrige Zeit ist sie in einem kostbaren Schrein verschlossen und den Blicken entzogen. Sie ist zur heiligen Reliquie geworden. Ein dicker, dichter Stoff, trapezförmig – völlig unscheinbar eigentlich, aber mit einem feinen Seidenband zusammengebunden: die Windel Jesu.

Maria „wickelte ihn in Windeln“, wird uns erzählt. Na klar. Jedes Baby wird gewindelt. Leser, erst recht Leserinnen – und insbesondere die der älteren Generation – werden noch sehr genau wissen, wie sich das in Marias Händen angefühlt hat. Und viele können wohl nachfühlen, wie unsicher die junge Mutter beim ersten Mal war. Und sie werden sich auch daran erinnern, wie viel Mühe es kostete, die Windeln zu waschen und zu trocknen in Zeiten, als es Pampers noch nicht gab.

Wozu Windeln gut sind

In der Weihnachtsgeschichte erhalten die Windeln erstaunliche Aufmerksamkeit. Sie werden zum Merkmal des Göttlichen. „Das habt zum Zeichen“, verkündet der Engel den Hirten: „Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt“. In diesem Jahr zu Weihnachten werden wir´s wieder besingen: „in reinlichen Windeln das himmlische Kind, viel schöner und holder, als Engel es sind“. (EG 43,2) Aber da ist Christoph von Schmid, der dies dichtete, schief gewickelt.

Annette Kurschus (59) ist Ratsvorsitzende der EKD und Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen
Annette Kurschus (59) ist Ratsvorsitzende der EKD und Präses der Evangelischen Kirche von WestfalenEKvW / Barbara Frommann

Das Gegenteil will Lukas mit seiner Geschichte von der Christgeburt klarmachen. Die Windeln sind weder reinlich noch duften sie gut. Auch bei diesem Säugling sind sie dafür da, wozu sie bei allen Neugeborenen dienen. Und der kleine Jesus ist schrumpelig und rot, er schreit und ist so wunderbar und so anstrengend und so hilfsbedürftig wie jedes Kind, das zwischen den Beinen der Mutter auf diese Welt kommt. Gar nicht „schöner und holder, als Engel es sind“.

In dem kleinen Stück Windelstoff steckt die Botschaft: Gott gibt sich mit Haut und Haar in unsere Hände. Ein unerhörter Gedanke für jene, die sich Gott nur vorstellen können und wollen als majestätisches und allmächtiges, als unnahbares und leidensunempfindliches Wesen.

Allein ihm zuliebe

Das Fest der Geburt Christi radikalisiert den Glauben, der schon in der Hebräischen Bibel aufscheint: Das Göttliche zeigt sich in kleiner und schwacher Gestalt, als Kraft der Schwachen. Wer ein Kind anschaut, weiß, wie bezwingend diese Kraft sein kann. Es schreit mit Macht nach unserer Fürsorge und Liebe. Es schaut uns an, und wir wissen: Allein ihm zuliebe lohnt jede Mühe, das Leben zu schützen und die Welt besser zu machen.

Der Kirchenvater Ambrosius hat es so ausgedrückt: „Das Jesuskind wurde eingewickelt in Windeln, damit du herausgewickelt werden könntest aus den Netzen des Todes.“