Glück kann man nicht machen

Die Sehnsucht nach Glück ist allgegenwärtig. Doch was ist das eigentlich, Glück? Der Lebenskunstphilosoph Wilhelm Schmid weiß einiges über das scheue Pflänzchen Glück und darüber, dass Sinn dauerhaft ist, das Glück dagegen niemals

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Glücksratgeber, Glückskekse, Glücksklee – die Welt scheint voller Sehnsucht nach Glück, nicht nur zum Beginn eines neuen Jahres. Für den Lebenskunstphilosophen Wilhelm Schmid ist Glück nicht das Wichtigste im Leben, wie der Untertitel eines seiner Bücher verrät. Im Interview mit Angelika Prauß erläutert er, warum Glück im Leben überbewertet wird.

Herr Schmid, viele Glücksratgeber antworten auf die Sehnsucht nach Glück. Das suggeriert, dass man Glück und Glücklichsein lernen kann. Geht das überhaupt?
Ja, natürlich. Das ist einfach. Man muss sich nur fragen: Was tut mir gut? Dann finde ich schon mal zur ersten Form von Glück – dem Wohlfühlglück.

Und welche weiteren Formen gibt es?
Das Zufallsglück. Das kann man nicht „machen“; der weitaus größte Teil der Glücksempfindungen zählt dazu. Davon wollen Menschen heute aber nichts wissen. Denn die moderne Ideologie lautet: Alles ist machbar. Dann wäre es aber interessant zu wissen: Und wie „macht“ man beispielsweise Kinder? Im Prinzip weiß das jeder, aber welcher Samenfaden dann auf welche Eizelle trifft das ist Zufall oder Schicksal; kein Mensch kann das beeinflussen. Ebenso wenig kann ich planen, wer mir über den Weg läuft und mit welchem Menschen ich durchs Leben gehe.

Kann man selbst günstige Rahmenbedingungen für Glück schaffen?
Ja, man kann beispielsweise in eine Wohnung mit mehr Licht umziehen, wenn das Gemüt vom Licht abhängig ist. Oder man kann sich eine andere Arbeitsstelle suchen, wenn man mit der momentanen Stelle unzufrieden ist.

Was macht Sie persönlich glücklich?
Wenn ich mich bei etwas gut fühle. Das kann meine Arbeit sein, das ist ganz sicher der Umgang mit meiner Frau und mit meinen Kindern. Und das ist jeden Tag eine Tasse Espresso im Café.

Selbst Lottogewinner sind oft auf Dauer nicht glücklicher, und ohnehin scheint Glück ein vergängliches Pflänzchen zu sein. Dennoch jagen wir ihm hinterher. Was könnte man sich stattdessen vornehmen, um ein gutes Leben zu führen?
Ich glaube nicht an ein „gutes“ Leben. Die Menschen sind nicht auf der Welt, um ein „gutes“ Leben zu führen, sondern um ihr Leben zu bewältigen und möglichst viel Sinn im Leben zu gewinnen. Sinn ist nicht identisch mit Glück. Wenn Sie zum Beispiel in eine Beziehung gehen und nur „glücklich“ werden wollen, werden Sie scheitern. Jeder, der in einer Beziehung lebt, sagt ehrlicherweise, dass er nicht jeden Tag und nicht jede Nacht 365 Tage im Jahr glücklich ist. Dennoch beendet er die Beziehung nicht, wenn das Glück aussetzt. Denn die Beziehung vermittelt hoffentlich Sinn. Sinn ist dauerhaft, Glück ist es niemals.

Und wie kann ich in einer Beziehung Sinn finden?
Indem ich meinen Motiven auf die Spur komme, warum ich mit diesem Menschen zusammen sein möchte – etwa weil es ein interessanter Mensch ist, weil ich schon lange mit diesem Menschen zusammen bin, weil wir gemeinsame Interessen oder Gewohnheiten haben. Es gibt viele mögliche Gründe, die Menschen verbinden; alle können dauerhafter sein als das Gefühl des Glücks. Denn ein Glücksgefühl ist immer nur für einen Moment da. Das beachten aber leider sehr viele Menschen und auch viele Ratgeber nicht beim Thema Glück. Glück ist eine Augenblicks­erscheinung.

… die aber – ganz unromantisch – auch simple körperliche Ursachen hat.
Glück hat immer was mit Hormonen zu tun, die dabei ausgeschüttet werden – etwa Serotonin, Dopamin, Noradrenalin und Endorphine. Und mit solchen Stoffen ist es genauso wie mit dem Geldbeutel: Wenn Sie das Geld ausgegeben haben, dann ist es nicht mehr da. Es kommt erst wieder etwas rein, wenn man dafür arbeitet. Genauso ist es mit den Glücksstoffen: Wenn sie verbraucht sind, müssen sie erst regeneriert werden. Das geschieht durch Phasen, die weniger glücklich sind – graue Zeiten, Auszeiten, Durchhänger, Alltag. In diesen Niederungen kann dann der Boden für neues Glück bereitet werden.

Es gibt unzählige Glücksratgeber, aber nur wenige Bücher, die sich mit dem Sinn des Lebens auseinandersetzen. Wie kommt das?
Ich habe ein dickes Buch über den Sinn des Lebens geschrieben. Das interessiert ganz wenige Menschen. Und ich habe ein kleines Buch über das Glück geschrieben, das interessiert unglaublich viele Menschen. Ich vermute, dass sich so viele für das Glück interessieren, weil sie eigentlich Sinn meinen, es aber einfacher haben wollen. Glück erscheint einfach, aber diese Einstellung ist verhängnisvoll. Denn gerade dieses permanente Streben nach Glück macht so viele Menschen unglücklich. Nur wenige Menschen wollen sich auf die Sinnfrage einlassen. Sie unternehmen lieber eine Reise ins Königreich Bhutan und meinen, dass sie dort endlich das Glück finden werden.

Zur Fülle des Lebens gehören aber auch Scheitern und unangenehme Erfahrungen. Wäre es zudem nicht auch langweilig, immer glücklich zu sein?
Das ist die dritte Art des Glücks, die heute kaum bedacht wird, die aber die Philosophen von alters her gut kennen: die Erkenntnis, dass kein Leben immer nur positive Seiten hat – schon gar nicht das der Reichen, Schönen und Berühmten.
Jeder sollte sich fragen: Kann ich damit einverstanden sein, dass es in meinem Leben positive und negative Phasen gibt – und zwar in einer Mischung, die ich selbst nicht wesentlich beeinflussen kann? Wenn ich damit einverstanden sein kann, dann wird mir etwas zuteil, was wichtiger ist als Glück: Dann kann ich heiter und gelassener durchs Leben gehen.

Wir wünschen uns um Silvester oft ein „glückliches“ neues Jahr. Wäre es vor dem Hintergrund nicht angemessener, sich ein „gutes“ neues Jahr zu wünschen, weil auch negative Erlebnisse und Tiefen zur Fülle des Lebens gehören?
Wir dürfen uns ruhig auch weiterhin ein glückliches neues Jahr wünschen. Es ist einfach eine Formel, die wir von uns geben – auch ich.
Und wenn sich einer etwas dabei denken will, dann kann er sich ja – etwa im Sinne des Zufallsglücks – vorstellen, dass dem Gegenüber günstige Dinge widerfahren mögen. Oder im Sinne des Wohlfühlglücks, dass der andere möglichst viele Wohlfühlstunden erleben möge. Auch kann er ihm ein Jahr im Sinne des Glücks der Fülle wünschen – dass der andere damit leben kann, wenn es für ihn auch mal nicht so ganz glücklich verläuft. Man kann sogar ein glückliches neues Jahr im Sinne des Unglücklichseins wünschen: Wenn es mal nicht zu vermeiden ist, dann wünsche ich dir, dass du gut durch diese Zeiten durchkommst. – Weil der Glückswunsch also ziemlich umfangreich und vielschichtig sein kann, tut es auch ein „Ich wünsche dir ein glückliches neues Jahr“.

Haben Sie selbst eine besondere Formulierung zum neuen Jahr?
Ich halte sehr viel von Traditionen und Ritualen. Bei Ritualen fragt kein Mensch nach der Sinnhaftigkeit. Und der Witz ist: Gerade das ist besonders sinnstiftend. Die Rituale, die wir zu Weihnachten, Silvester oder Neujahr haben oder die Rituale, die wir als Paare oder als Familie pflegen, stiften Zusammenhänge und Verbindungen, die länger dauern als das momentane Glück. Rituale geben uns auch noch Halt im Leben, wenn wir mal unglücklich sind. Insofern sollten wir stärker auf solche sinnstiftenden Elemente achten – das wäre mein Wunsch fürs neue Jahr.