Obdachlose werden an ihren Schlafplätzen mit Benzin übergossen und angezündet. Sie werden angepinkelt und bespuckt oder als Gesindel von ihrer Platte vertrieben. Gewalt gegen Obdachlose nimmt bundesweit zu: Drohungen, Nötigung, Diebstahl und Raub, Vandalismus, Brandstiftung und schwere Körperverletzung bis hin zu Tötungsdelikten. Die Ursachen sind vielfältig. Doch alle zeigen: Empathie und Nächstenliebe verkommen zu leeren Phrasen. Damit kann sich eine aufgeklärte Gesellschaft nicht abfinden.
Die Täter stammen erwiesenermaßen oft aus dem Milieu selbst. Streitigkeiten um knappe Ressourcen eskalieren. Wer wenig hat, ist sich oft selbst der Nächste. Gewalt erfahren Obdachlose aber auch immer häufiger von außen. Junge Männer fallen dabei durch besonders enthemmte Gewaltausübung auf. Fachleute vermuten eine generelle Verrohung der Gesellschaft als Grund. Die Angst vor dem sozialen Abstieg spielt eine entscheidende Rolle. Sie ist Antreiber für Hass und Wut gegenüber den Schwächsten, so die Expertenmeinung.
Obdachlose: Nächstenliebe als Prüfstein
Schon im Nationalsozialismus wurden Menschen, die keine Leistung für die Gesellschaft erbringen konnten, als sogenannte Asoziale per Erlass verfolgt, verschleppt, interniert und getötet. Die Nazis haben sie als arbeitsscheu diskriminiert und durch einen schwarzen Winkel auf der Brust stigmatisiert.

Damals war die Entmenschlichung staatlich angeordnet. Doch die dahinterstehende Haltung lässt sich auch heute wieder beobachten – in der Gewalt gegen Obdachlose, im Wegsehen vieler. Der politische Rechtsruck und der fortschreitende Sozialabbau nähren soziale Ängste und damit einen neuen, umgangssprachlichen Sozialdarwinismus. Wenn die Schere weiter klafft, droht Mitgefühl zu verblassen. Nächstenliebe aber bleibt Prüfstein einer menschlichen Gesellschaft – oder sie verliert ihre Seele.
