Gewalt gegen Frauen: Was kann die Kirche tun?

Rosa Coco Schinagl, Studienleiterin für Frauenarbeit im Amt für kirchliche Dienste Berlin, spricht über oft verharmloste Gewalt gegen Frauen und die Rolle kirchlichen Engagements beim Kampf dagegen.

Am 25. November, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, wird weltweit auf die anhaltende Gewalt und Ungerechtigkeit gegenüber Frauen aufmerksam gemacht
Am 25. November, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, wird weltweit auf die anhaltende Gewalt und Ungerechtigkeit gegenüber Frauen aufmerksam gemachtWestend61 / IMAGO

Es scheint, als wären in Deutschland wieder verstärkt antifeministische Haltungen in der Gesellschaft salonfähig. Wie schätzen Sie diese Situation ein?
Rosa Coco Schinagl: Ich persönlich frage mich: Ist es denn wirklich so mit dem Rückschritt? Oder zeigt sich sich einfach nur durch die immer lauter werdenden Stimmen für den Feminismus, welches Unrecht schon immer herrschte und trotz einer Regierungsform der Demokratie hier bei uns weiterhin herrscht?

Wo nehmen Sie solche lauter werdenden Stimmen besonders wahr?
Es gibt Anzeichen einer Stagnation – ich würde es nicht als Rückschritt bezeichnen –, insbesondere in bestimmten Teilen der Welt und auf zentralen Ebenen wie reproduktiven Rechten und wirtschaftlicher Gleichstellung. Aber antifeministische Meinungen à la Trump gab es doch schon immer. Seine Stimme wird laut – wie in anderen Bereichen – aber wir werden und müssen weiter-
machen.

Wie bewerten Sie die aktuelle Situation der Frauenbewegung?
Es existieren weltweit lebendige feministische Bewegungen, die zwar auf Widerstand stoßen, aber auch Erfolge erzielen. Der Feminismus erlebt einen „Kampf um (schnelleren) Fortschritt“ als einen einseitigen Rückgang. Prinzipiell würde ich es so einschätzen, dass Frauen jeweils regional aufdecken, wie patriarchal die Strukturen weiterhin sind – auch in Deutschland und durch die Vernetzung können wir Teil dieses globalen Eintretens für Gleichberechtigung – ich sage immer lieber Gerechtigkeit – sein. Wir sind viele und wir werden nicht aufgeben, weiter auf die Fakten und Zahlen zu verweisen, die existieren.

Den staatlichen Institutionen und Medien scheint es schwerzufallen, Gewalt als solche klar und deutlich zu benennen.
Man liest und hört von Familientragödien, dabei sind es Femizide – also gezielte Tötungen von Frauen wegen ihres Geschlechts. Justiz und Polizei scheinen zu oft hilflos bei Prävention und Verfolgung.

Was muss passieren, damit ein Umdenken stattfindet?
Ich finde, dass sich die Berichterstattung in diesem Jahr etwas verändert hat und man immer mehr von Femiziden liest. Trotzdem ist es viel zu wenig und die Zahlen (in Deutschland jeden dritten Tag ein Femizid, weltweit alle 11 Minuten) sollten immer wieder eingebunden werden, wenn wieder eine Frau durch den Partner getötet wurde. Es wäre somit gut, wenn in der Überschrift stehen würde: Erneuter Femizid. Es sind jene Fakten, die erstmal aufzeigen, wie die Realität für uns Frauen. Als nächstes müssen sich die Strukturen ändern und an die Realität anpassen: 50 Prozent der Weltbevölkerung sind Frauen.

In den sozialen Medien gibt es aktuell eine Debatte unter dem Hashtag „Frauenticket“. Dabei teilen tausende Frauen ihre Erfahrungen, sich in Arztpraxen nicht ernst genommen zu fühlen. Nehmen Sie eine systematische Benachteiligung von Frauen in der Gesellschaft wahr?
Ich denke, dass es seit dem 8. Mai 1949, um einen Orientierungspunkt zu haben – diese systematische Diskriminierung gibt und bis heute einfach nicht abbrach. Bis 1994 war eheliche Vergewaltigung nicht strafbar. Selbst 2024 steht es unter Strafe, wenn eine Frau vor der 12. Schwangerschaftswoche entscheidet, dass sie ihr Kind nicht gebären will. Dabei ist auch immer zu fragen: Wer schreibt und entscheidet über die Gesetze, die Frauen betreffen? Dies führt zu einer weiterführenden Frage: Ist Feminismus wirklich etwas, was nur wir Frauen antreiben? Wirkliche Veränderung wird es nur geben, wenn auch Männer verstehen, dass Gerechtigkeit zwischen den Menschen ein universelles Gut ist und keine Lappalie und besonders in einer Demokratie selbstverständlich sein sollte.

Es gibt sichtbare Gewalt, aber welche Formen von Gewalt werden oft übersehen? Wie können kirchliche Einrichtungen helfen ohne die Betroffenen weiter in Gefahr zu bringen?
Die meiste Gewalt gegen Frauen spielt sich im Verborgenen, im täglich routinierten Alltag ab, unterstützt von Strukturen unserer Gesellschaft, die seit Jahrtausenden tradiert wurden. Kirchliche Gemeinde sollte in all ihren Bereichen konkret darauf achten, dass Frauen keine Benachteiligung und keine Gewalt erfahren und es, falls es dazu kommt, ein routinierten Umgang mit dem Hinweis – auch bei Verdachtsfall erfolgt. Die meiste Gewalt erfolgt innerhalb der Familie, unabhängig von Milieu, deswegen sollten die Hauptamtlichen ein Umfeld schaffen, dass den Betroffenen Schutz bietet, um sich an die Verantwortlichen zu wenden. Auch muss der Diskurs dominanter werden, damit Betroffene lernen, dass es tatsächliche Gewalt ist, Hilfe möglich ist und sie nicht alleine sind. Solidarität spielt eine ungemein wichtige Rolle.

Wer kann im Falle von Gewalt gegen Frauen in der Kirche unterstützen? Und woher kommt die Unterstützung, kann das überhaupt geleistet werden mit Blick auf die Forum-Studie?
„Kann das überhaupt geleistet werden?“ – Es muss! Die Forum-Studie verdeutlicht doch lediglich wissenschaftlich, was in unserer Evangelischen Kirche los ist – wissen tun wir das doch schon seit Jahrzehnten. Es muss ein Netzwerk aufgebaut werden, das unterstützt und ein Bewusstsein bei allein Mitarbeiterinnen, was zu tun ist und wie präventiv gegen Gewalt an Frauen vorgegangen werden muss. Es hätte meines Erachtens nach nicht nur eine Welle der Betroffenheit durch die Kirche gehen müssen, sondern eben konkrete Konzepte und Zielvereinbarungen, wo wir als Kirche in 10 Jahren stehen wollen und das nicht erst seit ein paar Jahren, sondern seitdem es so deutlich an die Öffentlichkeit gekommen ist. Kirche darf kein Raum darstellen, wo Gewalttaten geduldet werden. Täter müssen sich so unsicher fühlen wie möglich, weil die Solidarität immer bei den Betroffenen liegt.

Gewalt gegen Frauen: Hier finden Sie Hilfe!

Wenn Sie Gewalt erfahren haben, gibt zahlreiche Unterstützungsangebote – sowohl regional als auch bundesweit. Sie erreichen das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen unter der Nummer 08000 116 016. Weitere Anlaufstellen sind die Telefonseelsorge, die jederzeit unter der Nummer 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 erreichbar, kostenlos und anonym ist. Weitere Informationen unter: www.telefonseelsorge.de.

Auf der Webseite www.frauenhauskoordinierung.de finden Sie Informationen und Kontakte zu Frauenhäusern und Fachberatungsstellen.