Das Herz ihres Babys hatte einfach aufgehört zu schlagen, ohne dass sie es bemerkt hatte. Eine sogenannte stille Fehlgeburt. Bei der Vorsorgeuntersuchung in der zehnten Woche stellte die Frauenärztin dies fest, damals vor sechs Jahren.
“Das hat meine Welt total aus den Fugen gerissen”, berichtet Natascha Sagorski, heute 40 Jahre alt. “In meiner Schwangerschaft war alles so, wie es sein soll. Mir war morgens übel. Ich hatte keine Blutung. Mein Körper hatte noch gar nicht realisiert, dass das Kind nicht mehr lebt.” Einen Tag nach der Diagnose fand die Ausschabung statt. Dabei werden der tote Embryo und der Mutterkuchen aus der Gebärmutterhöhle entfernt – um das Infektionsrisiko zu senken, meistens unter Vollnarkose.
Fehlgeburt: Jede dritte Frau ist betroffen
Als Sagorski danach nach einer Krankschreibung fragte, lehnte die verantwortliche Ärztin ab: “Sie brauchen keine Krankschreibung. Sie können morgen wieder arbeiten gehen.” Es war dieser Satz, der bei Natascha Sagorski haften blieb. “Ich dachte erst, ich müsste funktionieren”, erzählt sie. “Dann merkte ich, dass ich das nicht kann.” So fing Sagorski an zu kämpfen. Für sich und für die vielen anderen Frauen, die Ähnliches erlebt haben. 2022 startete sie eine Online-Petition zum gestaffelten Mutterschutz, die schließlich Erfolg hatte.
Im Januar wurde das Gesetz vom Bundestag verabschiedet, am Sonntag tritt es nun in Kraft. Es sieht einen Mutterschutz ab der 13. Schwangerschaftswoche vor: Ab diesem Zeitpunkt haben Mütter nach einer Fehlgeburt Anspruch auf zwei Wochen Mutterschutz, ab der 17. Schwangerschaftswoche auf sechs Wochen, ab der 20. Schwangerschaftswoche auf acht Wochen – wenn sie es denn möchten. Darüber soll jede Frau freiwillig entscheiden können.
Laut internationalen Statistiken und Schätzungen des Berufsverbands der Frauenärzte hat etwa jede dritte Frau mindestens eine Fehlgeburt in ihrem Leben. Eine offizielle Statistik gibt es nicht: Bisher bekamen Frauen, die ihre Kinder während der Schwangerschaft verloren, erst dann Mutterschutz, wenn sie entweder die 24. Schwangerschaftswoche erreicht hatten, also im 7. Monat waren, oder wenn das tote Kind mehr als 500 Gramm wog. Als Fehlgeburt gilt aus medizinischer Sicht das vorzeitige Ende einer Schwangerschaft bis zur 24. Woche.
Fehlgeburt: Totaler Schock und geplatzter Lebenstraum
“Für die meisten Frauen ist eine Fehlgeburt ein totaler Schock und ein geplatzter Lebenstraum”, sagt Psychologin Kathryn Eichhorn, die an der Universität der Bundeswehr in München mehrere Studien zum Thema leitet und die psychischen Folgen von Fehlgeburten untersucht. Hinzu komme häufig das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben.
Mutterschutz auch nach frühen Fehlgeburten sei deshalb “überfällig” gewesen, findet die Forscherin. Wichtig sei aber, dass er freiwillig bleibe: “Es gibt auch Frauen, die Arbeit in so einer Situation als stützend empfinden. Sie lenkt ab und stärkt die Selbstwirksamkeit, die gegen das Ohnmachtsgefühl hilft, das viele haben.” Zudem wolle auch nicht jede Frau offenbaren, dass sie schwanger gewesen sei und das Kind verloren habe.
Bei den meisten der Frauen, die sie in ihrer psychotherapeutischen Praxis sieht, sei die Krankschreibung beim Arzt kein Problem gewesen, sagt Eichhorn. Allerdings mangele es manchmal an Einfühlsamkeit: “Das liegt daran, dass Gynäkologen nicht ausreichend darin geschult werden, wie sie etwa mitteilen, dass das Herz nicht mehr schlägt. Sie sind hier mit ihrer eigenen Hilflosigkeit konfrontiert.”
Fehlgeburten werden nur selten thematisiert
Viele Frauen erzählen ihrem Umfeld erst nach der zwölften Woche, dass sie schwanger sind – weil erst dann die Schwangerschaft als relativ stabil gilt. Dadurch werden Fehlgeburten selten thematisiert, obwohl sie oft vorkommen. “Man hat dadurch das Gefühl, bei allen anderen funktioniert es. Nur Du hast versagt”, sagt Sagorski, die mittlerweile zweifache Mutter ist.
Zudem stießen Frauen auf Unverständnis, wenn sie unter einer Fehlgeburt litten, die in den ersten drei Monaten stattgefunden habe, so Eichhorn. Da man von außen noch nichts sehe, “ist für das Umfeld da jetzt noch nix. Für die Frau ist das Leben mit Baby aber schon Teil ihrer Fantasie”, sagt Eichhorn.
Der Verlust eines Babys kann auch krank machen: Frauen haben im Schnitt nach Fehlgeburten ein erhöhtes Risiko, an einer Angststörung, Depression oder einer Traumafolgestörung zu leiden, so die Therapeutin – besonders, wenn sie bereits psychische Vorerkrankungen haben. Der Trauerprozess verlaufe grundsätzlich sehr unterschiedlich; manchmal werde die Partnerschaft sehr belastet, manchmal schweiße der Verlust zusammen. Und es könne einen Unterschied machen, ob die Frau vor der Fehlgeburt bereits Mutter war oder nicht.
Wichtig sei das psychologische Signal, das durch die Einführung des Mutterschutzes auch nach frühen Fehlgeburten gegeben werde, so Eichhorn: “Damit wird die Mutterrolle anerkannt.” Sich krankschreiben lassen zu müssen, um das Erlebte verarbeiten zu können, könne dagegen das Schamgefühl verstärken, das betroffene Frauen ohnehin oft hätten: “‘Mit meinem Körper stimmt etwas nicht, ich kann kein Kind austragen.'”
Offenerer Umgang mit dem Thema Fehlgeburt
Die Expertin plädiert grundsätzlich für einen offeneren Umgang mit dem Thema. Das sei früher zwar noch stärker tabuisiert worden. Doch noch immer träfen betroffene Frauen auf Widerstand, wenn sie versuchten, sich der Umgebung mitzuteilen. “Das ist auch ein Schutzmechanismus. Die eigene Endlichkeit ist für Menschen schwer auszuhalten – besonders zu einem Zeitpunkt, wenn das Leben beginnt.”
