Geflüchtete Frauen verarbeiten ihre Geschichten in Theaterstück

Hinter jeder Puppe steht eine Geschichte: Frauen stellen im Sommerprojekt der kirchlich-diakonischen Flüchtlingsinitiative KOMM in Wuppertal ein Marionettentheater auf die Beine.

Marionettenbauer Markus Heip mit Maha Shekh Quasem
Marionettenbauer Markus Heip mit Maha Shekh QuasemSabine Damaschke

Wie ritzt man einer Marionette ein selbstbewusstes, leises Lächeln ins Gesicht? Maha blickt etwas ratlos in die Runde der etwa zwanzig Frauen, die alle um einen großen Werktisch vor ihren Puppenköpfen sitzen. Schließlich bittet sie Marionettenbauer Markus Heip um Hilfe. „Jetzt kommen wir zu den Emotionen“, freut er sich. „Die ins Gesicht zu bekommen, ist gar nicht so einfach. Da arbeiten wir mit Falten. Je größer sie sind, um so fröhlicher ist eure Puppe.“

Also arbeitet Maha an vielen kleinen Falten, die auch in ihrem Gesicht zu sehen sind. „Meine Marionette ist eine starke Frau, die in einem fremden Land ein selbstbestimmtes Leben aufgebaut hat“, erklärt die 42-jährige Palästinenserin. Andere Puppen, die im Sommerprojekt der Wuppertaler Flüchtlingsinitiative KOMM und des Sozialdienstes Katholischer Frauen im Heckinghauser Stadtteiltreff „Krawatte“ entstehen, symbolisieren Träume, Wünsche oder auch Familientraditionen. Ein Clown, der an den lustigen Großvater in der Heimat erinnert, eine Prinzessin, die mal ausruhen und sich verwöhnen lassen darf, eine Blumenfrau, die die Früchte ihres Gartens mit allen teilt.

Kleine Fältchen zeigen das Lächeln

Eine Woche haben die Frauen unter der Leitung des Remscheider Marionettenbauers Markus Heip vom Durchsholzer Marionetten- und Puppentheater an ihren Marionetten geformt, genäht und gebaut. Bis sie die Puppen tanzen lassen können, wird es aber wohl Herbst werden.
Für die Inszenierung braucht es noch Skript, Bühnenbild und Tonaufnahmen. „Da liegt viel Arbeit vor uns, aber es wird bestimmt ein beeindruckendes Theaterstück“, verspricht KOMM-Projektleiterin Dorothee van den Borre.

Mit rund 90 Ehrenamtlichen betreut die 2015 gegründete Initiative der evangelischen Kirchengemeinde Wuppertal-Heckinghausen im Bergischen Land viele Familien mit Migrationshintergrund und Fluchtgeschichte im Stadtteil. „Es sind so starke Frauen dabei, die Schweres durchgemacht haben, aber sich mutig neuen Herausforderungen stellen. Ihre Lebensgeschichten sind es wert, erzählt zu werden.“

Puppen sprechen lassen, fällt leichter

Doch nicht viele geflüchtete Frauen möchten so offen über ihr Leben reden wie Maha es tut und nur wenige wollen dafür auf eine Bühne. Die Idee, Marionetten für sich sprechen zu lassen, die selbst erfunden und gestaltet sind, habe viele Frauen direkt begeistert, erzählt Dorothee van den Borre. „Jede kann ihre Geschichte ganz individuell und kreativ einbringen, aber es geht auch um eine gemeinsame Geschichte, die entsteht und Frauen unterschiedlicher Kulturen zusammenbringt.“

Die Marionetten bekommen Gesichter und Gewänder aus den Heimatländern der geflüchteten Frauen
Die Marionetten bekommen Gesichter und Gewänder aus den Heimatländern der geflüchteten FrauenGisela Kettner

Im Marionettenprojekt, das mit Fördermitteln der Diakonie Deutschland finanziert wird, arbeiten Frauen aus Syrien, Palästina, Indonesien, dem Iran, Irak, der Ukraine und Deutschland mit. So bunt und unterschiedlich wie ihre Kulturen ist auch die Kleidung der Puppen, die in einem kleinen Werkstattraum der „Krawatte“ entsteht. Neben märchenhaften, modernen und schrillen Kostümen schneidern die Frauen detailgetreue Trachten aus ihren Ländern.

So tragen die Marionetten von Hulnara und Leniye die traditionelle Kleidung der Krimtartarinnen mit ihren typischen Kopfbedeckungen und Goldbordüren. Die beiden Lehrerinnen sind im vergangenen Jahr mit ihren Kindern von der Krim nach Wuppertal geflüchtet. „Seit drei Generationen erleben wir Vertreibung“, erzählt Leniye. Diese Geschichte dürfe nicht vergessen werden, die Kultur und Sprache der Krimtartaren nicht verloren gehen, ergänzt Hulnara. „Sie gehört zu unserer Identität, egal, wo wir leben.“

Das Kopftuch hängt locker am Hinterkopf

Auch Mahas Puppe zeigt die traditionelle Kleidung der Palästinenserinnen, denn das sind ihre Wurzeln. Das Kopftuch hängt ihrer Puppe locker am Hinterkopf. Sie entscheidet selbst, ob sie es tragen möchte oder nicht. Dieses Selbstbewusstsein hat sich Maha erkämpft. Im Jahr 2000 kam sie mit ihrem Ehemann nach Wuppertal. Als er sich acht Jahre später von ihr trennte, wollte die Familie, dass sie mit ihren drei Kindern nach Palästina zurückkommt.

Lebensgeschichten in Puppengesichtern

„Eine alleinerziehende Frau in einem fremden Land: Das ist bei uns verboten“, berichtet Maha und lacht trotzig. „Aber das kam für mich nicht in Frage. Ich wollte auf eigenen Füßen stehen und für meine Kinder und mich sorgen.“ Das ist ihr gelungen. Sie arbeitet heute als Sprach- und Kulturmittlerin. Ihre drei Kinder studieren und machen Abitur. Deshalb wird ihre Marionette mit einem selbstbewussten, leisen Lächeln auf der Bühne stehen.