Gedenkakt: „Die Zukunft unserer Demokratie ist bedroht“

Der Bayerische Landtag hat am Mittwoch in einem großen Gedenkakt an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Der Holocaust-Überlebende Abbas Naor sagte in seiner Rede zum Internationalen Holocaust-Gedenktag (27. Januar), dass die Begegnung mit NS-Zeitzeugen das beste Gift gegen Antisemitismus sei. Dieser breite sich nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 wieder erschreckend auf israelische Zivilisten in Europa und Deutschland aus.

Kein Mensch werde als Antisemit geboren, betonte der 95-Jährige. Eltern und die ganze Gesellschaft stünden in der Pflicht, die Kinder vor Hass, Antisemitismus und Rassismus zu schützen. „Die Zukunft unserer Demokratie ist bedroht.“ Man müsse nun den erneuten Anfängen wehren, forderte Naor und nannte als Grund die Umfrage- und Wahlerfolge der in Teilen rechtsextremen AfD. Naor hatte unter anderem das Konzentrationslager Dachau und seine Außenlager überlebt. Der gebürtige Litauer wanderte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Israel aus.

Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) sagte in ihrer Rede, dass Demokraten immer hinsehen müssten, wenn Menschen verachtet werden. „Da gibt es kein Zuwarten: Nie wieder ist jetzt! Wenn radikale Kräfte Pläne zur Deportation ganzer Bevölkerungsgruppen schmieden, wird Geschichte zur Schablone“, sagte sie mit Blick auf ein vor kurzem erst bekannt gewordenes Treffen in Potsdam, bei dem AfD-Vertreter und Rechtsextreme unter anderem über Pläne zur „Remigration“ von Menschen mit ausländischen Wurzeln beraten hatten.

Alle demokratischen Parteien seien in der Pflicht, sich diesen Plänen entgegenzustellen, forderte sie. Für die Mitglieder der AfD-Fraktion fand Aigner deutliche Worte. „Sie hätten gerne die Festnahme Ihres Kollegen hier im Haus provoziert. Vermutlich wegen der Bilder. Und wegen der Empörung und des Hasses, die Sie dann hätten säen können auf Ihren Social-Media-Kanälen.“ Gemeint ist der unterfränkische AfD-Abgeordnete Daniel Halemba, der per Haftbefehl wegen des Verdachts auf Volksverhetzung gesucht und wenige Stunde vor der konstituierenden Sitzung des Landtags im vergangenen Oktober verhaftet worden war.

Der AfD-Abgeordnete Martin Böhm hatte in der Debatte um Halemba in einem Schreiben geäußert, es sei ein „legitimes politisches Ziel“, die Landtagspräsidentin zu beschädigen. Es gab Überlegungen in der AfD, dass sich Halemba öffentlichkeitswirksam im Landtag festnehmen lassen sollte. Aigner nannte die Pläne „ungeheuerlich“ in ihrer Rede bei dem Gedenkakt. „Sie wagen die Parallele zu denen, die in der NS-Zeit weggesperrt wurden, gefoltert, ermordet. Sie stellen sich mit ihnen auf eine Stufe. Mit Opfern, die für Freiheit standen, für Menschlichkeit und für den Widerstand gegen die Nationalsozialisten.“

Der Landtag will sich am Mittwochnachmittag unter anderem mit einem fraktionsübergreifenden Dringlichkeitsantrag aller demokratischen Parteien befassen. Darin wollen CSU, Freie Wähler, Grüne und SPD den gezielten Angriffen der AfD auf die demokratische Ordnung des Freistaats Bayern und seiner Verfassungsorgane entgegenstellen. Anlass sei das Schreiben des AfD-Abgeordneten Martin Böhm in der Causa Halemba gewesen.

Der CSU-Fraktionsvorsitzende Klaus Holetschek bezeichnete die AfD laut gemeinsamer Pressemitteilung vom Mittwochmorgen als „Feinde des Parlaments, Feinde der Verfassung, Feinde der Demokratie“. Solche gezielten Attacken auf die bayerische Demokratie und den gesellschaftlichen Frieden sind abstoßend und gefährlich. Der Vorsitzende der Freie Wähler-Fraktion, Florian Streibl, sagte, dass es vollkommen inakzeptabel sei, die freiheitlich-demokratische Grundordnung Bayerns schwächen, beschädigen oder gar delegitimieren zu wollen. „Abgeordnete müssen auf dem Fundament unserer Verfassung stehen und für sie und ihre Organe einstehen.“

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Johannes Becher, sagte, dass die Menschen, die gegen die AfD, gegen Diskriminierung, Rassismus und Menschenfeindlichkeit auf die Straße gegangen seien, ein Anrecht darauf hätten, dass das Parlament eine starke Stimme gegen Verfassungsfeinde sei. „Bei dem Dringlichkeitsantrag gilt: In den Farben getrennt, in der Sache vereint.“ Denn: Die AfD sei eine Gefahr.

SPD-Fraktionschef Florian von Brunn sagte: „Die AfD, das sind für mich die neuen Nazis. Sie sind Menschenfeinde wie ihre Vorgänger – das zeigen ihre furchtbaren Vertreibungspläne gegen Menschen mit Migrationsgeschichte.“ Gegen diese Feinde von Demokratie und Verfassung müssten alle Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen, forderte er. Seit Tagen gehen in ganz Deutschland Tausende von Menschen auf die Straße, um gegen die AfD zu demonstrieren.

Im Mittelpunkt des diesjährigen Gedenkaktes stand das Thema „Generationen des Erinnerns“. Schülerinnen und Schüler des Gisela-Gymnasiums München gestalteten den Gedenkakt mit einer Performance zum Thema Antiziganismus mit. Teilgenommen hatten auch der NS-Zeitzeuge Ernst Grube, bayerische Kabinett, Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, der bayerische evangelische Landesbischof Christian Kopp sowie zahlreiche Nachkommen von NS-Überlebenden. (00/0281/24.01.2024)