Gedanken aus Farbe

Das Gemälde steht für ein Gefühl: Katharina Grosse weiß immer noch, wie es ihr als junge Malerin erging, als sie das großformatige Ölgemälde mit seinen vielen durchscheinenden Farbschichten schuf. Es sei das „in sich im Widerspruch sein“ gewesen, sagt die Malerin. „Das ist ein Gefühl, das ich ganz stark mit dem Malen verbinde.“ Während sie zu Beginn ihrer Karriere unter diesem inneren Konflikt litt, habe sie sich inzwischen längst damit angefreundet, sagt Grosse. Der Widerspruch und die Uneindeutigkeit wurden vielmehr zu einem wesentlichen Element ihrer Arbeiten.

Unter dem Titel „Katharina Grosse. Studio Paintings 1988-2023“ widmet das Kunstmuseum Bonn der Künstlerin ab Donnerstag eine Ausstellung, die dem Wesen ihrer Malerei nachspürt. „Katharina Grosse gehört zu den profiliertesten Malern ihrer Generation, die über den Eigenwert der Farbe nachdenken“, sagt Museumsdirektor Stephan Berg, der die Schau kuratiert hat. Das Bonner Kunstmuseum verfügt laut Berg mit 43 Arbeiten wahrscheinlich über die größte museale Grosse-Sammlung. Darunter ist auch die Außenarbeit „In seven days time“, eine fassadenhohe besprühte Kunststoffscherbe.

Grosse ist bekannt für ihre Sprayarbeiten, die häufig die Architektur einbeziehen oder sich über den Bildrand auf den Boden ausdehnen. Die aktuelle Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Bern und dem Mildred Lane Kemper Art Museum in St. Louis entstand, konzentriert sich laut Berg erstmals auf ihre im Atelier entstandenen Leinwandarbeiten. Dabei entstand eine retrospektive Schau, die die Entwicklung der Künstlerin anhand von 40 meist großformatigen Gemälden nachzeichnet. Sie ist bis zum 22. September zu sehen.

Die Ausstellung stellt zum Teil frühe und aktuelle Gemälde gegenüber. In den 90er Jahren malt die Künstlerin Ölgemälde mit großflächigen Farbblöcken. Dabei schimmern Farbschichten durch. Und auch der Pinselstrich ist sichtbar. Daneben ist ein 2022 entstandenes Gemälde mit schwingenden, sich überlagernden Farbschlaufen zu sehen. Die Künstlerin schafft ihre Werke heute nicht mehr mit dem Pinsel, sondern mithilfe einer kompressorbetriebenen Spritzpistole. Für ihre Arbeiten verwendet die 62-Jährige unvermischte Industriefarben.

Grosse hatte bereits viele internationale Einzelausstellungen. Ihre Arbeiten sind in zahlreichen Museumssammlungen vertreten, darunter im Pariser Centre Georges Pompidou in der Albertina in Wien und im Münchner Lenbachhaus. Grosse studierte von 1982 bis 1990 bei Johannes Brus, Norbert Tadeusz und Gotthard Graubner an den Kunstakademien in Münster und Düsseldorf. Sie war Professorin an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee (2000-2010) und Professorin für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf (2010-2018). Sie lebt in Berlin und Neuseeland.

Der Modus habe sich verändert, aber grundsätzlich seien ihre frühen und aktuellen Bilder gar nicht so verschieden, bemerkt Grosse. Ein Bild sei für sie immer ein „Zeitcluster“, das Aufeinandertreffen von verschiedenen Zeitebenen. Die im Frühstadium des Bildes aufgetragenen Farben sind bei Grosse noch ebenso zu sehen wie die letzten Schichten.

In Grosses Bildern verwirren die unterschiedlichen Farbebenen, Farbverläufe und -muster die Sinne oder erzeugen den Eindruck von Bewegung. Mit der Uneindeutigkeit und Offenheit ihrer Farbmalereien nahm Grosse in den 80er und 90erJahren eine sehr eigene Position in der Malerei ein. Es war die Zeit, in der Vertreter der figurativen Malerei an Einfluss gewannen wie etwa Georg Baselitz, Gerhard Richter, Markus Lüpertz oder Anselm Kiefer. An der Kunstakademie Düsseldorf, wo Grosse studierte, bekam die Fotografie durch die Becher-Schule einen ganz neuen Stellenwert.

Katharina Grosse entschied sich bewusst für einen anderen Weg und sieht ihre Malerei unter anderem als Gegenentwurf zur Fotografie. Ihre mehrschichtigen Gemälde vermittelten „eine Art von Wissen, die vielleicht sogar authentischer“ sei als Fotografien, erklärt sie. Bei ihr steht die Farbe mit ihren physischen und optischen Eigenschaften im Mittelpunkt. „Farbe ist für mich so wichtig, weil sie eine unmittelbare Resonanz in einem hervorruft“, erklärt Grosse. Ähnlich wie Klang erzeuge Farbe eine intuitive Reaktion.

Das Aufsprühen der Farbe, das Körpereinsatz erfordert, hat für Grosse auch einen performativen Charakter. Die Direktheit ihrer Malerei sei für sie entscheidend, sagt die Künstlerin. Malerei sei für sie, „sich mit sich selbst zu beschäftigen als Mensch, und etwas zu machen, was eine Reflexion der eigenen Gedanken ist.“