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Gaza-Abkommen – Gedanken eines Juden, eines Muslims, eines Christen

Das Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas fällt in die Zeit des jüdischen Festes Sukkot. Mitten in Bonn steht eine öffentliche Laubhütte. Eine Gelegenheit, dort miteinander zu reden.

Hossein Pur Khassalian ist Muslim – und ruft dazu auf, das jüdische Laubhüttenfest Sukkot mitzufeiern. Denn auch in diesem Jahr lädt wieder eine öffentliche Sukka, eine Laubhütte, in der Bonner Fußgängerzone Gäste ein, um miteinander zu reden, sich und das jüdische Fest kennenzulernen, gemeinsam zu essen und zu trinken. Genau das ist auch sein Anliegen, wie Pur Khassalian sagt: die Begegnung von Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen.

Schon lange findet einmal in der Woche in einem Raum des Kreuzgangs der Bonner Hauptkirche ein multireligiöses Gebet von Christen, Juden und Muslimen statt. Dieses Mal erhebt sich der gebürtige Iraner Pur Khassalian am Ende dieses Gebets von seinem Platz und startet seinen Sukkot-Aufruf.

Es ist der Donnerstag, an dem bekannt wird, dass sich Israel und die Terrororganisation Hamas auf ein Waffenstillstandsabkommen geeinigt haben. Mittlerweile ist es in Kraft getreten – fast genau zwei Jahre nach dem Massaker der Hamas in Israel, der Verschleppung von rund 250 Geiseln in den Gazastreifen, was den Gaza-Krieg auslöste. Die Freilassung der 48 noch dort festgehaltenen lebenden und toten Geiseln ist Teil des Abkommens, ebenso wie ein Ende des Krieges.

“Es ist auf jeden Fall eine positive Wende”, freut sich Pur Khassalian. Er befürchte jedoch, dass Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erneut den Iran ins Visier nehmen könnte, wenn der Gaza-Krieg vorüber sei. Nichtsdestotrotz wolle er dem Dialog und dem Eintreten für Frieden treu bleiben, was er nach eigenen Angaben seit den Terroranschlägen in New York am 11. September 2001 macht. Aktuell sagt er: “Ich bin unterwegs von Mahnwache zu Mahnwache.”

Der Aufbau einer öffentlichen Sukka im Zentrum von Bonn hatte im vergangenen Jahr Premiere. Für Sonntag nun luden die örtliche Synagogengemeinde und die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit erneut Gäste und neugierige Passanten ein. Sukkot, das den Charakter eines Erntedankfestes hat, dauert noch bis Montag an.

Mit der Laubhütte wollen die Veranstalter nach eigenen Worten jüdisches Leben in einer Zeit des grassierenden Antisemitismus auch in Deutschland sichtbar machen. Dieser Antisemitismus ist eine Folge des 7. Oktober 2023.

Das Bundeskriminalamt verzeichnete bei den antisemitisch motivierten Straftaten im vergangenen Jahr einen Höchststand mit rund 6.200 Delikten. 2023 waren es etwa 5.200. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus registriert darüber hinaus auch Vorfälle, die keine Straftaten sind: 2024 wurden demnach insgesamt 8.627 Fälle dokumentiert – ein Anstieg um fast 77 Prozent.

“Für uns als Juden ist es eine große Erleichterung, dass die Geiseln – so Gott will – endlich freikommen”, sagt Dennis J. Barasch vom Bonner Synagogenvorstand. “Wir sind für Frieden.” Die gesamtgesellschaftliche Lage sei besorgniserregend. Aber: “Wir müssen etwas tun, wenn wir Dinge kritisieren.” Die Bonner Sukka sei eine solche Tat, mit der man bewusst in die Öffentlichkeit gehe. Barasch sagt, er setze auf einen “gesunden Dialog mit guten Partnern”.

Der evangelische Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Bonn, Pfarrer Joachim Gerhardt, sagt, es sei wichtiger denn je, jüdisches Leben nicht unsichtbar werden zu lassen. “Es gehört zu unserem Leben und ist Teil der Gesellschaft. Es kann nicht sein, dass sich Jüdinnen und Juden bis zur Unkenntlichkeit verstecken müssen.” Die Sukka sei ein Ort für das Gespräch – den Nahostkonflikt werde man dort freilich nicht lösen können.

Im Vorfeld des Aufbaus der Sukka habe man abgewogen, ob das aus Sicherheitsgründen überhaupt möglich sei. Die Polizei habe Schutz zugesagt, sagt Gerhardt. Er erinnert an einen Vorfall in Bonn am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur: Zeitgleich mit dem Gebet in der Synagoge fand in unmittelbarer Nähe eine propalästinensische Demonstration statt.

Dies habe viele Gemeindemitglieder “tief irritiert und betroffen gemacht”, erklärte die Gemeinde seinerzeit in einer Pressemitteilung. Es habe jedoch keine konkrete Gefahr für Leib und Leben der Betenden bestanden. Polizei und Sicherheitskräfte hätten für Schutz gesorgt. Mit Blick auf die öffentliche Laubhütte in der Fußgängerzone spricht Barasch jetzt von positiven Gefühlen.

Jom Kippur und Sukkot gehören zu einer Reihe wichtiger jüdischer Feiertage, die Ende September mit dem Neujahrsfest Rosch Haschana begonnen hat und mit dem Fest der Torah-Freude (Simchat Tora), das Dienstagabend startet, endet. Simchat Tora ist wie die anderen Feste auch vom Datum her ein bewegliches Fest und fand vor zwei Jahren am 7. Oktober statt, als die Terroristen Israel überfielen. In diesem Jahr wird die Freilassung aller Geiseln rund um das Fest der Torah-Freude erwartet.