„Fürchtet euch nicht“ – Bischöfin Steen über die Weihnachtsgeschichte

Angst schützt, schreibt Bischöfin Nora Steen aus Schleswig-Holstein. Aber Ängste können auch lähmen. In ihrer Auslegung der Weihnachtsgeschichte entfaltet sie die Kraft der Engelsworte.

Über die Rolle der Engel schreibt Bischöfin Nora Steen in ihrem Weihnachtswort
Über die Rolle der Engel schreibt Bischöfin Nora Steen in ihrem WeihnachtswortImago / Westend 61

„Fürchtet euch nicht!“ Für mich sind das die drei wichtigsten Worte in der Weihnachtsgeschichte, wie sie uns vom Evangelisten Lukas überliefert ist. Die Hirten haben Angst in der Dunkelheit. Das ist nicht nur verständlich, sondern auch klug. In den Nächten sind ihre Schafe besonders gefährdet. Die Dunkelheit gibt Schutz, birgt aber auch Gefahren. Umso mehr müssen sie sich erschrocken haben, als der Engel des Herrn zu ihnen trat – dicht heran an ihre Schlafstatt.

„Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. ‚Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.‘“

Weihnachtsgeschichte: Macht die Herzen fester

Angst sichert unser Überleben. Menschen, die niemals Angst haben, agieren wenig vorausschauend. Sie überschreiten häufig Grenzen. Sie dienen damit nicht immer dem Guten. Es ist also ein guter Schutzmechanismus, Angst zu haben.

Zu viel Angst jedoch lähmt, macht unfrei. Umso verständlicher ist es also, dass genau dieser Zuspruch der erste Satz des Engels ist: „Fürchtet euch nicht!“ So sind die Hirten angesehen und angesprochen. Diese Engelsworte nun in sich zu tragen, macht die Herzen fester und setzt sie in Bewegung.

Nora Steen aus Schleswig-Holstein ist Deutschlands nördlichste Bischöfin
Nora Steen aus Schleswig-Holstein ist Deutschlands nördlichste BischöfinTim Riediger / Nordkirche

Dieser Satz ist nicht nur zu den Hirten, sondern auch zu uns gesagt. Martin Luther soll einmal behauptet haben, das eine, wichtigste Wort der Weihnachtsgeschichte sei: „Euch“: Wir sind gemeint – auch hier und heute. Auch wir dürfen die Engelsworte zu uns nehmen und auf unsere Zeit beziehen.

Die Weihnachtsgeschichte ist uns in diesem Jahr in eine gesellschaftlich und politisch aufgeheizte Zeit hinein gesagt, in der die Ängste vieler Menschen zunehmen. Vieles scheint gefährdet: unsere Demokratie, der Frieden in der Welt und in Europa, unser sozialer Zusammenhalt, unsere Wirtschaft. Ein gewisses Maß an Angst davor ist sicherlich gesund.

Wenn die Ängste der Menschen allerdings zu groß werden, dann tritt Lähmung ein. Dann ziehen sich Menschen zurück, dann verstummen sie. Dann schwinden mit der wachsenden Angst Stück für Stück unsere Freiheit, der Blick für meine Mitmenschen und auch unsere Freude am Leben. Dann nehmen psychische Erkrankungen zu, weil die eigenen Ängste immer mehr zu Fesseln um die Seele werden.

Zu Besuch in der Flüchtlingsunterkunft

Bei einem meiner Besuche in einer der Landesunterkünfte für Geflüchtete in Schleswig-Holstein erzählte ich von eben diesem Zuspruch aus der Weihnachtsgeschichte einer Mitarbeiterin der Diakonie. Darauf sagte sie mir, sie wolle diese drei Worte mit in ihre Arbeit nehmen. „Ich werde sie an die geflüchteten Menschen weitergeben, die häufig so voller Angst und Unsicherheit zu mir in die Beratung kommen und große Furcht haben, sofort abgeschoben zu werden.“

Ich bin mir sicher, dass diese Mitarbeiterin für viele der Geflüchteten, die zu ihr kommen, zu einer wichtigen Stütze in ihrem häufig so unübersichtlichen Alltag wird. Auch wenn sie ihr Schicksal natürlich nicht beeinflussen kann.

Zusage des Engels: „Bringt Licht in unsere Ängste“

Dieses Beispiel zeigt mir, wie nah die Zusage des Engels auch zu uns kommt, mitten in unsere ganz persönlichen Lebensbezüge hinein. Die Klarheit des Herrn stellt mich in ein anderes Licht. Sie leuchtet in unsere eigenen Dunkelheiten hinein. Bringt Licht in unsere Ängste. Hebt diese nicht auf, aber ermutigt uns, uns nicht von ihnen lähmen und fesseln zu lassen.

Wenn wir als Christinnen und Christen diese Hoffnungsbotschaft des Weihnachtswunders in uns tragen, werden wir selbst zu denen, die anderen zusprechen können: „Fürchte dich nicht.“ Und ich bin mir sicher: Wir können damit zwar nicht alle Ängste nehmen, aber wir können deutlich machen: Niemand soll allein gelassen werden.

Ein gesegnetes Weihnachtsfest wünscht Ihnen
Nora Steen