Für unabhängige Aufklärung

Öffentliches Hearing zur Verantwortung der Kirchen

Berlin – Bitterkeit, Mut und offene Worte: Das alles prägte das dritte offene Hearing der Unabhängigen Aufarbeitungskommission über die Kirchen und ihre Verantwortung zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in Berlin. Im Zentrum standen die Berichte von Betroffenen. Die Kirchenvertreter hörten vor allem zu.
Die Vorsitzende Sabine Andre­sen sagte, der Umgang der Kirchen mit den Betroffenen müsse die ganze Gesellschaft interessieren. Mit ihren Einrichtungen hätten die Kirchen einen starken Einfluss auf Kinder und Jugendliche in einer wichtigen Lebensphase.
Andresen kritisierte, den Kirchen habe es bisher allzu häufig an einer menschlichen Haltung im Umgang mit den Opfern von sexueller Gewalt und Missbrauch gefehlt. Sie hätten vielmehr „alles dafür getan“, dass sich viele Betroffene gar nicht erst bei ihnen gemeldet hätten, sagte Andre­sen. Das sei ein Grund dafür, warum bis heute das tatsächliche Ausmaß der Missbrauchsskandale nicht bekannt sei. Andresen forderte von der evangelischen und katholischen Kirche, auf die Betroffenen zuzugehen und jeweils eine zentrale, unabhängige Anlaufstelle einzurichten, die leicht zu finden sei. In beiden Kirchen fehle es noch immer an Transparenz bei dem Thema.
Sexuelle Gewalt in Kirchenzusammenhängen, so eine Auswertung von Anhörungen vor der Aufarbeitungskommission, wird in fast allen Fällen durch die Haltung der Eltern begünstigt. Entweder kamen die Kinder und Jugendlichen aus Familien mit vielen Problemen oder aus besonders frommen Elternhäusern, die ihre Kinder in besten Händen sahen. Die Buchautorin Claudia Mönius schilderte, wie sie dem emotional kalten Elternhaus in die katholische Gemeinde ihres Ortes entfloh und an einen Priester geriet, der sie von ihrem elften bis zum 16. Lebensjahr missbrauchte.
Der Soziologe Heiner Keupp, der der Aufarbeitungskommission angehört, verglich die Strategie der Kirchen bei der Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs mit denen der Autoindustrie in der Diesel-Affäre. Es sei in der Vergangenheit immer nur das untersucht worden, was Betroffene ans Licht befördert hätten. Keupp forderte die Kirchen auf, eigene Aufarbeitungsprojekte zu starten und Strukturen zu verändern, die den Machtmissbrauch begünstigten.
Die evangelische Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, die Mitglied des Rates der EKD ist, sagte, die EKD habe sich in einer Vereinbarung mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung dazu verpflichtet, flächendeckend Schutzkonzepte einzuführen. Entscheidend sei aber, dass die Kirchen in ihrer inneren Haltung Ernst machten mit der Aufklärung und gegen den Reflex angingen, zuerst die Institution schützen zu wollen: „Es geht um Opferschutz“, sagte Fehrs. Sie sei „tief erschüttert“ über die Berichte der Betroffenen. Fehrs zufolge haben zehn der 20 evangelischen Landeskirchen inzwischen unabhängige Kommissionen eingerichtet, an die sich Betroffene wenden und auch finanzielle Hilfen beantragen können.
Neben Fehrs war auch der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Bischofskonferenz und Trierer Bischof, Stephan Ackermann, eingeladen. Die katholische Kirche will im September einen Forschungsbericht zu den überwiegend 2010 öffentlich gewordenen Missbrauchsskandalen veröffentlichen.