Fünf Jahre Grande Cappuccino
Ein Morgen ohne caffè ist für die meisten Italienerinnen und Italiener wohl undenkbar. Auf dem Weg zur Arbeit machen viele ihren traditionellen Stopp in einer der zahlreichen Bars und trinken an der Theke ihren Espresso. Ein Ritus, der inklusive Bezahlung nur wenige Minuten in Anspruch nimmt.
So viel Zeit braucht man in einem Kaffeehaus der US-Marke Starbucks allein zum Bestellen. Einen grande doubleshot Capuccino mit Sojamilch zu ordern, kommt einem daher mitten in Rom fremd vor. Genauso wie die riesige Tasse Heißgetränk, die einem am Ausschank gereicht wird. Viele waren skeptisch, als vor fünf Jahren der erste Starbucks Italiens in Mailand eröffnet hat. „Wir kommen nicht hierher, um den Italienern zu zeigen, wie man Kaffee macht. Wir kommen hierher mit Demut und Respekt. Wir wollen zeigen, was wir gelernt haben“, betonte Firmengründer Howard Schultz damals.
In fünf Jahren hat Starbucks sich – trotz Pandemie – im Land des Espresso ausgebreitet. Bis Ende 2023 soll es 36 Filialen geben. Die erste Filiale in Roms Innenstadt, nur wenige Meter vom Parlament und der Einkaufsstraße Via del Corso entfernt, war Mitte Mai dieses Jahres die 25. Eröffnung in Italien. Zwei Wochen später folgten zwei weitere Filialen in der Hauptstadt, strategisch gut gelegen am Bahnhof Termini.
Zugleich haben viele der traditionellen Caffè-Bars in Italien zu kämpfen. In den vergangenen zehn Jahren sei die Zahl der Barbetriebe um etwa 15.000 zurückgegangen, teilte der Gastronomieverband Fipe-Confcommercio zu Jahresbeginn mit. Dazu komme, dass lediglich 50 Prozent der Betriebe, die sich neu niederließen, die ersten fünf Jahre überstünden. „Es wird immer schwieriger, ein Unternehmen aufrechtzuerhalten, das Gehälter, überhöhte Mieten und derzeit außer Kontrolle geratene Rechnungen durch den Verkauf von Kaffee und Cappuccino zu einem Preis von etwas mehr als einem Euro bezahlen muss“, sagt Matteo Musacci, Vizepräsident der Fipe.
Und doch findet man an nahezu jeder Straßenecke des Landes vorzüglichen Espresso – für durchschnittlich 1,09 Euro. Laut Schätzungen des Handelsverbandes Sca Italy werden in Italien noch immer täglich 95 Millionen Tassen Espresso gebrüht, im Schnitt 1,6 pro Einwohner. Aus den Zahlen, die der Gastronomieverband Fipe veröffentlicht hat, geht hervor, dass es in neun von zehn Gemeinden mindestens eine Caffè-Bar gibt.
Dabei geht es um mehr als die Versorgung mit gutem Espresso: Die Bar ist oft der soziale Mittelpunkt eines Ortes oder Stadtviertels, hier treffen sich die Bewohner, hier wird über Politik, das Wetter und das Leben geplaudert.
Inwiefern bedroht ein Konzept wie das der Kaffee-Kette Starbucks also die italienische Kaffeekultur? Vincenzo Catrambone, Hauptgeschäftsführer von Starbucks in Italien, sagte bei der Eröffnung der Filiale im Herzen Roms: „Es gibt viel Skepsis, aber ich muss sagen, in den Städten in Italien, in denen Starbucks präsent ist, haben wir die Herausforderung gemeistert, und der Espresso ist hier unser Bestseller.“
Katia, die an der Kasse der römischen Innenstadt-Filiale die Bestellung entgegennimmt, schätzt, dass 25 Prozent ihrer Kunden Italiener seien, der Rest Touristen. Die Preise sind im Vergleich zu Deutschland moderat und an die ortsüblichen angepasst: Ein halber Liter Wasser kostet hier 1,50 Euro, einen Grande Cappuccino gibt es für drei Euro.
Die für Rom dennoch recht hohen Preise sind für Camilla Giovannelli und ihre Freundin Grace Elizabeth Coccia gerechtfertigt. Die jungen Frauen, beide 24 Jahre alt, sitzen vor ihren Laptops und diskutieren über den Inhalt von Graces Abschlussarbeit. „Solche Orte fehlen in Rom, Orte, an denen man sich einfach mal hinsetzen kann und lernen oder arbeiten“, sagt Camilla, die gerade von einem zweijährigen Studienaufenthalt in Holland zurück nach Rom gekommen ist. „Vor allem jetzt im Sommer, wo auch noch viele Bibliotheken oder die Lernsäle in der Uni zu haben.“
Außerdem herrsche hier entspannte Atmosphäre. „Hier können wir auch mal über etwas sprechen, in der Bibliothek herrscht ja striktes Schweigen.“ Die Vorteile von Starbucks gegenüber anderen Cafés in der Stadt: „Es gibt viele Tische, Steckdosen, ein sauberes Klo, eine Klimaanlage und W-Lan“, sagt Grace. Und der Kaffee? „Schlecht“, sagen beide sofort. Heute steht auf ihrem Tisch auch kein Espresso oder Cappuccino, sondern ein tiefroter Früchte-Drink mit Eiswürfeln darin. „Wir hatten hier auch schon Espresso – aber der ist wirklich nicht von guter Qualität“, sagt Camilla. „Aquato“, lautet ihr strenges Urteil, „wässrig“. „Halt eher im amerikanischen Stil.“ Ihren Caffè trinken die beiden noch immer lieber in ihrer italienischen Stamm-Bar.