“Frühling in Paris” – eine sehenswerte Hommage an die Liebe

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Die 16-jährige Pariserin Suzanne (Suzanne Lindon) fühlt sich im Kreis ihrer Altersgenossen zunehmend gelangweilt. Als sie auf dem Weg zur Schule dem Schauspieler Raphaël Frei (Arnaud Valois) begegnet, entwickelt sie eine Faszination für den 35-jährigen Mann, die dieser bald erwidert. Es kommt zu Treffen, bei denen sie vertrauter miteinander werden, bis das Mädchen zu fürchten beginnt, das ganz normale Leben seiner Altersklasse zu verpassen.

Hauptdarstellerin und Regisseurin Suzanne Lindon, Tochter der Schauspieler Vincent Lindon und Sandrine Kiberlain, schuf mit ihrem Debüt 2020 eine lyrische Ode an die Liebe, die vom schmerzhaft schönen Übergang zwischen den Freuden der Kindheit und dem Aufbruch ins Erwachsenenleben erzählt. Der selbstbewusst inszenierte Film erinnert an den frischen Wind der Nouvelle Vague, entfaltet aber eine ganz eigene stilistische Brillanz.

Wie in eine andere Sphäre entrückt, sitzt die 16-jährige Suzanne (Suzanne Lindon) in einem Pariser Cafe. Während die gleichaltrigen Freunde in Gespräche vertieft sind, wartet Suzanne schweigend und in sich versunken. Als der Kellner ihr eine Grenadine Diabolo bringt und sich der rubinrote Granatapfelsirup über die klare Limonade ergießt, strahlt ein Lächeln über ihr Gesicht. Träumerisch nähert sich die Kamera ihren Lippen, die genussvoll den Strohhalm umschließen, um sich der Limonade wie einem Liebestrank hinzugeben. Doch nach kurzem intensivem Nippen zückt sie ihr blutrotes Portemonnaie und macht sich auf den Weg.

Die gerade einmal zwanzigjährige Suzanne Lindon überrascht in “Frühling in Paris” (im Original “Seize Printemps”/ “Sechzehn Lenze”) mit einem dreifachen Debüt als Regisseurin, Autorin und Hauptdarstellerin einer Art Filmversion des biblischen Hohelieds der Liebe. Im Hebräischen “Das schönste aller Lieder” genannt, versammelt diese alttestamentarische Liebeslyrik zärtliche und erotische Verse, die das Suchen und Finden ebenso wie das Sehnen und Lobpreisen zweier Liebender entfalten.

Statt einer fortschreitenden Handlung stehen das wechselhafte Zusammenspiel von Begehren und Erfüllung, Vereinigung und Trennung im Vordergrund. Bemerkenswert ist dabei, dass die weibliche Stimme viel aktiver und fordernder auftritt als ihr Geliebter. In der bildhaft-metaphorischen Sprache steht immer wieder der Granatapfel mit seiner aphrodisierenden Symbolik im Vordergrund.

Lindon setzt dies spielerisch und originell durch die immer wieder auftauchende Grenadine und den Einsatz der Farbe Rot um. Ihre Protagonistin in weißer Bluse und Jeans, die dunklen Haare stets mit einem roten Haarband zurückgebunden, langweilt sich in Gegenwart ihrer Klassenkameraden. Lieber verbringt sie ihre Zeit mit Romanen von Boris Vian; an der Wand ihres Zimmers hängt ein Filmplakat von Maurice Pialat.

Einmal erblickt sie einen schönen, rauchenden Mann (Arnauld Valois) auf dem Nachhauseweg; ihre Blicke kreuzen sich, eine rubinrote Tür blitzt im Hintergrund auf. Wenig später sieht sie ihn nachts in einer Bar mit seinen Kollegen, genauso abwesend und unverbunden mit der Gesellschaft, wie sie sich selbst erlebt. In rotes Neonlicht getaucht, wird die flüchtige Begegnung zu einem ausgedehnten Moment gegenseitiger erotischer Faszination.

Von da an ist Suzanne wie elektrisiert. Immer wieder sucht sie den Ort des ersten Zusammentreffens auf, bis sie den Unbekannten vor einem Theater wiederentdeckt. Sein kirschroter Motorroller ist defekt, und so fragt sie ihren Vater nach fachmännischem Rat für eine Reparatur.

Voller Leichtigkeit und szenischem Einfallsreichtum verwebt Suzanne Lindon die mädchenhafte Seite ihrer Hauptfigur mit dem Einbruch von Weiblichkeit und Erotik, die sie stets in der Schwebe hält. Im schmerzhaft schönen Übergang zwischen den Freuden der Kindheit und einem Aufbruch in die Körperlichkeit der Erwachsenen erlebt sie eine Liebe, die sie verwandelt, aber auch vor Konflikte und Herausforderungen stellt.

Als ihr Objekt der Begierde sie endlich anspricht, stellt sich heraus, dass Raphael immerhin zwanzig Jahre älter ist als sie. Doch er begegnet Suzanne mit Ernsthaftigkeit und Zurückhaltung, die sich auch darin äußert, dass beide stets beim “Sie” bleiben und in wunderbarer Stilisierung ein Hand- und Halskuss profane Annäherungsformen ersetzt.

In einer der schönsten Szenen setzt Raphael ihr Kopfhörer auf, um sie seine Lieblingsmusik hören zu lassen. Zu den elegischen Klängen von Vivaldis “Stabat Mater” beginnen sich die beiden mit geschlossenen Augen in einem synchronen Ballett zu bewegen, während die 9. Strophe des lateinischen Gesangs verkündet: “Lass, o Mutter, Quell der Liebe, lass die Flut der heil’gen Triebe strömen in mein Herz herab!”

“Frühling in Paris” erschafft eine geradezu nostalgische Welt, eine lyrische Ode an die Liebe. Nicht zuletzt ist der Film, den Lindon bereits mit 15 Jahren zu schreiben begann, eine selten schöne und offene Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten des Frau-Werdens.