Vom Bürogehilfen zum Primas und Mitglied des britischen Oberhauses: Nach einer steilen Karriere musste George Carey auch Versagen einräumen – und warnt seine Kirche vor Selbstaufgabe.
Baron Carey of Clifton, von 1991 bis 2002 Erzbischof von Canterbury und Primas der anglikanischen Staatskirche von England, wird am Donnerstag (13. November) 90 Jahre alt. In seiner Amtszeit galt George Carey stets als Kompromisskandidat zwischen dem konservativen und dem liberalen Kirchenflügel. Zunehmend wurden ihm Führungsschwäche und zu wenig eindeutige Stellungnahmen in gesellschaftlichen Fragen vorgeworfen. Nach Ablauf seiner Amtszeit musste er Fehlverhalten bei einem prominenten Fall von sexuellem Missbrauch einräumen.
Tatsächlich wird Carey bis heute entweder als “konservativ” oder “liberal” gekennzeichnet. Auch die stetig rückläufige Zahl der Gottesdienstbesucher und eine “Entfremdung” des evangelikalen Flügels lasteten Kritiker dem damaligen Primas persönlich an, obwohl Careys theologische Wurzeln bei den Evangelikalen liegen.
Er ist ein Befürworter der Frauenordination und der Wiederverheiratung Geschiedener. Eine Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften lehnt er ab, war jedoch federführend an mehreren Kompromissformeln in dieser Frage beteiligt. Zugleich engagierte sich Carey im ökumenischen Dialog mit Rom.
Carey verließ die Schule bereits mit 15 Jahren, arbeitete als Bürogehilfe und absolvierte seinen Wehrdienst. Mit 17 Jahren wurde er nach einem Gottesdienstbesuch Christ und strebte fortan das Priesteramt an. In Rekordzeit holte er seine Schulabschlüsse nach und studierte am Londoner King’s College Theologie. 1963 wurde er ordiniert und promovierte anschließend.
Nach Jahren als Dozent und Gemeindeseelsorger wurde Carey 1987 zum Bischof geweiht und 1988 Bischof von Bath und Wells. 1991 folgte er Erzbischof Robert Runcie in Canterbury nach. Carey war Gastgeber der Lambeth-Konferenz 1998, zu der damals die ersten Bischöfinnen eingeladen waren. Beim Eintritt in den Ruhestand 2002 wurde er in den Adelsstand erhoben und trägt seither den Titel Baron Carey of Clifton; auf Lebenszeit ist er Mitglied des Oberhauses. Carey ist seit 65 Jahren verheiratet und hat vier Kinder.
2018 musste er einräumen, den Fall des pädophilen Bischofs Peter Ball (1932-2019) nicht untersucht und der Polizei gemeldet zu haben; er entschuldigte sich bei Balls Opfern. Ball gab 2015 zu, in den 1970er bis 90er Jahren bei mindestens 18 Minderjährigen oder jungen Männern sexuell übergriffig geworden zu sein. 2015 wurde er zu 32 Monaten Haft verurteilt.
Zu seiner eigenen Kirche findet Carey selbstkritische Worte, sieht sie gar vom Aussterben bedroht: “In einer kalten Kirche zu hocken und Leuten auf den Hinterkopf zu gucken, ist vielleicht nicht der spannendste Ort, um neue Leute kennenzulernen und prophetische Worte zu hören.” Es sei heute einfach nicht mehr “normal” für die Menschen, zur Kirche zu gehen. Er sei “überzeugt, dass Kirchen wachsen können, wachsen sollen und wachsen müssen”, so der frühere Primas. Aber wenn es nicht gelinge, neue Gläubige anzuziehen, werde jede einzelne der 43 Diözesen binnen 25 Jahren verschwunden sein.
Angesichts von Gewalt, getrennten Familien, bedrohten Jobs suchten Menschen nach spiritueller Erfüllung. “Wir sollten uns schämen”, so der einst Verantwortliche. “Wir sind nur eine Generation vom Erlöschen entfernt. Wenn wir nicht in die Jugend investieren, wird in der Zukunft niemand mehr übrig sein.”