Frieden ­stiften

Ein starkes Symbol für den Frieden: Das Kreuz aus drei nachgebildeten Zimmermannsnägeln der zerstörten Kathedrale von Coventry ist das christliche Symbol für die Idee der Versöhnung der Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg. Foto: Dietrich Flechtner/epd Am Sonntag, dem 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, besiegeln christliche Gemeinden aus Berlin und Warschau ihre Partnerschaft und setzen ein Symbol für den Frieden. Damit setzten sie die eindrucksvolle deutsch-polnische Versöhnungsgeschichte fort, die nach dem Zweiten Weltkrieg begann. In seinem Titelkommentar schreibt Bischof Markus Dröge über den Brückenschlag mit unseren polnischen Nachbaren.

Vertreter christlicher Gemeinden aus Warschau und Berlin besiegeln mit einem Gottesdienst am 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen eine Partnerschaft. Diese setzt die eindrucksvolle deutsch-polnische Versöhnungsgeschichte fort, die nach dem Zweiten Weltkrieg begann.

Von Markus Dröge

1. September 1939: Es ist erst sechs Uhr morgens, als ferne Explosionen den jungen Pianisten Wladyslaw Szpilman in der Wohnung seiner Eltern in Warschau aus dem Schlaf reißen. Wenig später steht seine Mutter in seinem Zimmer. „Steh auf! Es ist Krieg.“ Am Nachmittag heulen die Sirenen. Der Rundfunk warnt: „Wir rufen Alarm über der Stadt Warschau aus.“ Mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen begann der Zweite Weltkrieg, vor genau 80 Jahren, am 1. September 1939. Vom ersten Tag an war auch Warschau Ziel der Angriffe. Deutsche Fliegerbomben zerstörten am 16. September 1939 die berühmte Trinitatis-Kirche im Herzen Warschaus. Heute kommen Mitglieder eben dieser Trinitatis-Kirchengemeinde aus Warschau zu uns in den Berliner Dom, um mit einem Gottesdienst eine deutsch-polnische Partnerschaft zu begründen. Eine starke Geste der Versöhnung und ein Symbol für Frieden. Wir als Kinder, Enkel und Urenkel der Aggressoren von damals können nur in Demut sagen: „Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden“ (Matthäus 5,9). Auf dem Gebiet unserer Landeskirche mit der direkten Nähe zu Polen haben wir viele friedensstiftende Begegnungen. Ich denke etwa an die Partnerschaften von Kirchengemeinden in Berlin, Frankfurt/ Oder und Angermünde zu Gemeinden in Breslau, Warschau, Slubice und Chonja/Stettin. Gerade jetzt, da Europa immer mehr um Zusammenhalt und Demokratie ringen muss, ist diese Zusammenarbeit wichtiger denn je. Sachsen und Brandenburg wählen am 1. September. Würden die Rechtspopulisten stärkste Kraft werden, hätte das negative Folgen für ganz Deutschland – und für die Demokratie. Ein Blick zurück, in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg: Damals reifte sowohl bei den Staaten als auch in den Kirchen der Wunsch nach einem Zusammenwachsen Europas. Eine eindrucksvolle Versöhnungsgeschichte begann. In den 1960er Jahren waren die christlichen Kirchen intensiv daran beteiligt, dass der Brückenschlag mit unseren polnischen Nachbarn gelang. 2001 verständigten sich die Deutsche Bischofskonferenz und die Konferenz Europäischer Kirchen in der Charta Oecumenica auf Leitlinien für die Zusammenarbeit der Kirchen und für ein humanes und soziales Europa, in dem die Menschenrechte und Grundwerte des Friedens, der Gerechtigkeit, der Freiheit und Toleranz im Vordergrund stehen. Die Charta Oecumenica erscheint uns in der Rückschau als Friedensvision, deren Realität noch nicht in unserer Welt angekommen ist – gerade, wenn wir die Worte der Demagogen, Nationalisten und Populisten hören. Frieden zu stiften ist ein zäher Prozess, der auch Rückschläge kennt. Aber geben wir deshalb auf? Nein! Wir besinnen uns neu auf die Worte Jesu. Und wir halten uns die gemeinsam erarbeiteten Verabredungen vor Augen. Denn wir wissen, dass wir immer wieder die Erinnerung daran brauchen, wohin es führt, wenn die Nationen anfangen, sich auf sich selbst zurückzuziehen und nur von eigener Größe zu träumen. In der Barmer Theologischen Erklärung (1934) heißt es: „Die Kirche erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten.“ Wir, die Regierten, haben die Verantwortung, wählen zu gehen. Ganz real in Sachsen und Brandenburg die Wahllokale aufzusuchen und verantwortungsbewusst den Stimmzettel auszufüllen. Wer setzt sich glaubwürdig für Gerechtigkeit und Frieden ein?„Friede muss gewagt werden“, sagte Dietrich Bonhoeffer, Pfarrer der Bekennenden Kirche, 1934 auf der Tagung des „Werkbundes für die internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen“ (Fanø/Dänemark). Seine Botschaft fand kein Gehör. Umso wichtiger, dass dies heute anders wird. Dass wir Frieden stiften und davon Zeugnis geben, immer wieder aufeinander zugehen und Versöhnung suchen. Damit nie wieder Sirenen über Städten heulen und Menschen auf Menschen schießen.

Markus Dröge ist Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburgschlesische Oberlausitz.