Forscherin sieht Luft nach oben bei sexueller Bildung

Porno-Bildchen im Klassenchat oder anzügliche Bemerkungen im Unterricht: In solchen Situationen sind viele Lehrkräfte überfordert. Eine Expertin hat Tipps – und eine klare Forderung für das Lehramtsstudium.

Wer auf Lehramt studiert, sollte sich mit sexueller Gesundheit, geschlechtlicher Vielfalt und Missbrauchsrisiken befassen: Dafür plädiert die Kulturwissenschaftlerin Maria Urban. “Als Lehrkraft kann ich mich doch nicht entscheiden, ob ich dem Thema begegne oder nicht.” Vielmehr müsse man reagieren, wenn man “von sexualisierter Gewalt, verbalen Übergriffen im Unterricht oder Grenzverletzungen im Klassenchat” erfahre, sagte Urban der Zeitschrift “Psychologie Heute” (Juli-Ausgabe). Sie forscht an der Hochschule Merseburg zu sexueller Bildung für das Lehramt.

Wer so tue, als hätte er bestimmte Äußerungen nicht gehört, vermittle, dass dieses Verhalten in Ordnung sei, mahnte die Expertin. Ohne Qualifikation könne man sich mit Themen wie Pornografie im Netz oder sexualisierten Übergriffen jedoch schnell überfordert fühlen. “Nicht jede Lehrkraft muss alles wissen. Sie muss aber wissen: Wie kann ich reagieren? An wen kann ich mich wenden? An wen kann ich verweisen, wenn es notwendig ist?”

Beratungsstellen seien gerade in Missbrauchsfällen “enorm wichtig”, betonte Urban. “Aber: Wenn sich mir als Lehrkraft ein Kind anvertraut, kann ich nicht als Erstes sagen: ‘Aha, besprich das bitte mit einer Beratungsstelle!'” Wichtig sei in so einer Situation, “zuzuhören, aufmerksam zu sein und Glauben zu schenken. Kinder und Jugendliche denken sich solche Sachen nicht aus, und wenn doch, dann haben sie ein anderes Problem, bei dem sie Hilfe brauchen.”

Wer etwa von einem Übergriff erfahre, solle nichts ohne das Wissen der betroffenen Person unternehmen, “um keine neuen Ohnmachtserfahrungen zu generieren”, fügte die Expertin hinzu. Zudem sei es entscheidend, Ruhe zu bewahren und nicht für weitere Verunsicherung zu sorgen. Feste Ansprechpartner an jeder Schule könnten helfen – sie gäben allen das Signal, dass offen über Sexualität und sexualisierte Gewalt gesprochen werde.