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Forscherin: Junge Pflegende verheimlichen Tätigkeit aus Scham

Wer Oma oder Opa, Vater oder Mutter pflegt, verdient Anerkennung: Das klingt nach einer Selbstverständlichkeit. Laut einer Forscherin sieht die Realität für junge Menschen jedoch oft anders aus.

Studierende oder Auszubildende, die ihre Angehörigen pflegen, verheimlichen dies nach Einschätzung einer Expertin oft in ihrem Umfeld. “Viele schämen sich dafür und führen ‘hidden lives'”, sagte Soziologin Anna Wanka, Professorin an der Universität Frankfurt, am Dienstag im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Obwohl nach neuesten Forschungen rund zwölf Prozent der bundesweit Studierenden in Deutschland einen Angehörigen pflegten, seien diese “als Gruppe nicht sichtbar verankert”, so Wanka. Dabei sei diese Gruppe sogar größer als diejenige, die ihren Nachwuchs während des Studiums betreue.

Wanka will mit dem Projekt “InterCare” ab Herbst 2024 erforschen, wie der Alltag dieser Menschen aussieht und wie man sie dabei unterstützen könnte. Nach bisherigen Erkenntnissen seien vor allem junge Frauen sowie junge Menschen mit Migrationshintergrund davon betroffen, Pflege und Ausbildung unter einen Hut bekommen zu müssen.

Weil Alter und Pflegebedürftigkeit in der Gesellschaft tabuisiert würden, erzählten die Betroffenen oft nichts von ihrer Tätigkeit. Laut Forschung habe eine Doppelbelastung von Pflege und Studium auch langfristige Konsequenzen.

“Es wirkt sich auf das ganze Leben aus”, sagte Wanka. So komme es etwa zu psychischen und physischen Einschränkungen der Pflegenden, die für eine professionelle Pflege nicht ausgebildet seien. Auch seien diese Menschen gefährdeter, später arbeitslos zu werden, weil sie mitunter wegen der Pflegetätigkeit keinen Abschluss machen könnten.

Viele seien in einer Dreifachrolle – zwischen Erwerbsarbeit, Studium und Pflege – zerrissen. Mitunter drücke sich diese Überforderung auch in Gewalt gegenüber den Gepflegten aus. “Manche werden dann in ein Zimmer gesperrt, weil die Pflegenden sich nicht mehr zu helfen wissen.”

Wanka empfahl, im Pflegefall mit einem Dozenten offen über die Situation zu sprechen. Zudem sollten sich die Betroffenen rechtzeitig Unterstützung holen. Viele hätten etwa Anspruch auf Pflegegeld, ohne es zu wissen.

Die gesamtgesellschaftliche Pflegesituation werde sich zusehends verschärfen, sagte Wanka. Insofern werde es immer mehr familiäre Pflege geben. Noch steckten die Hilfsangebote in Deutschland in den Kinderschuhen: “In Großbritannien oder Skandinavien etwa gibt es viel mehr Aufmerksamkeit für das Thema.”