Flüchtlingsdrama „Green Border“ sorgte für Staatsaffäre in Polen

Das Flüchtlingsdrama „Green Border“ traf wenige Wochen vor den Parlamentswahlen im Oktober 2023 einen Nerv der Gesellschaft, die den nationalpopulistischen Kurs der PiS-Regierung nicht weiter mittragen wollte.

Am Donnerstag läuft in den deutschen Kinos das polnische Drama „Green Border“ von Agnieszka Holland an, in dem Flüchtlinge zum Spielball der politischen Mächte an der polnisch-belarussischen Grenze werden. In Polen provozierte der Film heftige politische Reaktionen der PiS-Regierung und trug unter anderem dazu bei, dass die Wahlen im Oktober 2023 mit dem Sieg der demokratischen Opposition endeten.

An verbale Angriffe und Ablehnung ist Regisseurin Agnieszka Holland gewöhnt. Schon im kommunistischen Polen bekam sie Probleme mit der Zensur. Deshalb wanderte sie 1984 in die USA und später nach Frankreich aus. In Deutschland behaupteten Filmkritiker sogar, ihr Film „Hitlerjunge Salomon“ sei antisemitisch. Und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, als Agnieszka Holland nach Polen zurückkehrte und dort Filme wie „Die Spur“ oder die Serie „1983“ drehte, warfen ihr nationalistische Kräfte vor, dass ihre Filme antipolnisch seien.

Doch erst als ihr Flüchtlingsdrama „Green Border“ wenige Wochen vor den polnischen Wahlen im Oktober 2023 in die Kinos kam, gab es für den Hass gegen Agnieszka Holland keine Grenzen mehr. Sie musste sich sogar Leibwächter nehmen und das Land noch vor den Wahlen verlassen.

Warum polarisierten die Filmemacherin und ihr bislang bester Film „Green Border“ derart massiv in ihrer Heimat? Wie konnte es dazu kommen, dass der von der PiS eingesetzte Staatspräsident Andrzej Duda zum Boykott aufrief und der damalige Justizminister die Regisseurin mit Goebbels verglich? Und dass Internet-Trolle die Nutzerkritiken auf der größten Internetseite www.filmweb.pl schon vor dem Kinostart massiv manipulierten?

Für die polnische Filmkritikerin Anita Piotrowska hat das viel mit einer „Pädagogik der Schande“ zu tun, die von nationalistischen Parteien und Strömungen schon lange geschürt werde. Gerade Filme seien den Ideologen der ehemaligen Regierungspartei PiS dabei zutiefst suspekt. Schon gegen „Ida“ (2013) von Pawel Pawlikowski gab es eine massive Kampagne. Als der Film 2018 im Staatsfernsehen TVP ausgestrahlt wurde, wurde eine einführende Diskussion zwischen zwei nationalistischen Journalisten vorgeschaltet. Die warnten das Publikum, dass „Ida“ ein antipolnischer Film sei.

Ganz ähnlich argumentierte die polnische Regierung auch gegen „Green Border“. Der Film würde Polen verunglimpfen und dem Ansehen des Landes schaden. Das „Ministerium für innere Angelegenheiten“ gab sogar einen Werbeclip gegen den Film in Auftrag, der vor jeder Aufführung im Kino gezeigt werden sollte, um vor „antipolnischen Tendenzen“ zu warnen. Die meisten Kinobesitzer lehnten dies aber ab. Sensationelle 750.000 Zuschauer wollten „Green Border“ dann sehen, trotz oder gerade wegen der Angriffe.

Auslöser zu „Green Border“ war der Fund einer nackten Leiche an der polnisch-belarussischen Grenze durch Freunde der Regisseurin. Agnieszka Holland fühlte sich ohnmächtig, weil sie den Menschen an der Grenze nicht direkt zu Hilfe eilen konnte. Als Filmemacherin, Aktivistin und polnische Bürgerin aber sah sie ihre Aufgabe darin, die tragische und komplexe Geschichte der syrischen, irakischen und afrikanischen Flüchtlinge zu erzählen, die der belarussische Diktator Lukaschenko unter falschen Versprechungen einfliegen ließ und die dann an der belarussisch-polnischen Grenze zum Spielball brutaler internationaler Politik wurden. Für die polnische Staatspropaganda waren es nicht einmal mehr Menschen, sondern „Raketen Putins und Lukaschenkos“. Man schürte in der Bevölkerung die Angst vor Terroristen und potenziellen Vergewaltigern.

Da es „Green Border“ gelingt, die menschliche Tragödie in den Mittelpunkt zu rücken, und die Polen nicht nur als brutale, manchmal aber auch zweifelnde Grenzschützer zu zeigen, konnte der Film so viele Zuschauer und Zuschauerinnen aufrütteln. In den Augen von Anita Piotrowska hat „Green Border“ durchaus einen Einfluss auf die polnischen Wahlen ausgeübt, als die acht Jahre lang regierende PiS die absolute Mehrheit verlor.

Piotrowska berichtet von Bekannten und Nichtwählern in ihrer Heimatstadt Krakau, die sich nach dem Besuch des Films entschlossen, erstmals zur Wahl zu gehen. Vier Monate später, nachdem die PiS abgewählt worden ist, sieht Piotrowska in „Green Border“ fast schon einen „historischen Film“ aus einer anderen Epoche, der nicht nur filmgeschichtlich von Bedeutung ist, sondern auch als Geschichtsdokument Zeugnis für den Widerstand gegen die populistischen Kräfte ablegt.

„Green Border“ könnte zum bedeutendsten Film von Agnieszka Holland werden, die sich stets als politischer Mensch verstanden hat. Ungerechtigkeiten lassen sie nicht ruhen; sie fühlt sich als Mensch wie als Künstlerin für die Welt verantwortlich. Das hat auch biografische Wurzeln. Sie ist die Tochter eines jüdisch-polnischen Kommunisten, der sein Judentum verleugnete, und einer katholischen Mutter, die am Warschauer Aufstand teilnahm.

Den riesigen Erfolg von „Green Border“ konnten weder nationalistische Kräfte noch populistische Politiker verhindern. Außerhalb von Deutschland hieß der Film übrigens „Europa, Europa“. Agnieszka Holland hat ihn unter anderem auch deshalb gedreht, weil sie die europäischen Grundwerte durch die neue europäische Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen und durch die Aushöhlung des Asylrechts gefährdet sieht.