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Festivalleiter Gass kritisiert “Gesinnungskultur” in Nahost-Debatte

Die BDS-Kampagne oder den Aufruf „Strike Germany“ hält der Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage, Lars Henrik Gass, für getarnten Antisemitismus. Warum, das erzählt er im Gespräch.

Anhänger der BDS-Kampagne (Boycott, Divestment and Sanctions) aus ganz Europa protestieren mit einer Kundgebung in Berlin (Archivbild aus 2019)
Anhänger der BDS-Kampagne (Boycott, Divestment and Sanctions) aus ganz Europa protestieren mit einer Kundgebung in Berlin (Archivbild aus 2019)Imago / snapshot

In der aktuellen Nahost-Debatte hält der Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage, Lars Henrik Gass, den Boykottbewegungen gegen Israel getarnten Antisemitismus vor. „Vordergründig handelt es sich um eine Auseinandersetzung über den sogenannten Nahost-Konflikt“, sagte Gass dem Evangelischen Pressedienst (epd). Doch im Kern gehe es bei der im Kunst- und Kulturbereich vielfach aktiven BDS-Kampagne oder dem Aufruf „Strike Germany“ um antisemitische Erzählungen sowie Angriffe gegen jeden, der abweiche. „Dabei ist kein Raum mehr für Differenziertheit, etwa, dass man für das Existenzrecht Israels eintreten kann, aber gegen dessen amtierende Regierung“, kritisierte er.

Die diesjährigen Kurzfilmtage in Oberhausen sehen sich mit einer weltweiten Kampagne konfrontiert, nachdem Gass öffentlich den Terrorangriff der Hamas auf Israel sowie zunehmende Judenfeindlichkeit in Deutschland verurteilt hatte. In einem darauf veröffentlichtem offenen Brief anonymen Ursprungs wurde gefordert, das Festival zu boykottieren. Unterzeichnet wurde er von rund 1.900 Menschen aus der Filmbranche verschiedener Länder.

„Strike Germany“: Fragwürdige Politisierung der Kunst

Die Reaktion auf seinen Facebook-Eintrag sei überraschend gewesen, „auch in dieser Schärfe“, sagte Gass. „Das Ganze ist in unserem Fall umso erstaunlicher, weil die Kurzfilmtage immer eine Vielfalt von Positionen, künstlerisch wie politisch, zugelassen haben.“ Die Aktionsform „Strike Germany“, die sich gegen öffentliche Kultureinrichtungen in Deutschland wegen angeblich unterdrückter Meinungsfreiheit insbesondere bei Solidaritätsveranstaltungen für Palästina wendet, ist für ihn dagegen eine fragwürdige Politisierung der Kunst: „Eine sehr regressive und auch sehr repressive Form, mit gesellschaftlichen Konflikten umzugehen, weil man Widersprüche nicht mehr aushält, Aktion erzwingen will, auch Konformität.“

Absagen infolge des Boykottaufrufs konnte das Festivalteam nachbesetzen, sodass bei den 70. Kurzfilmtagen vom 1. bis 6. Mai nun 117 Produktionen in fünf Wettbewerben zu sehen sind. Gass sieht das Format aber langfristig vor der Herausforderung, wie mit Gruppen, „die uns krass ideologisch begegnen“, künftig umgegangen werden solle. „Wenn Universalismus nicht mehr gewünscht wird, sondern Gesinnungsgemeinschaft, wird es ein bisschen kompliziert mit der kulturellen Verständigung“, warnte er.

Diskussion mit Befürwortern und Gegnern der Boykott-Kampagne

Eröffnet werden die Kurzfilmtage mit einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Sehnsucht nach Widerspruchsfreiheit“, zu der Befürworter und Gegner der Boykott-Kampagne eingeladen sind. „Wir sind so ziemlich die Einzigen, die diesen Versuch wagen“, sagte Gass. Im gesamten kulturellen Raum beobachtet er derzeit wenig Bereitschaft zum Dialog. „Aber irgendwann muss einmal irgendwer wieder anfangen mit dem Sprechen“, betonte er. „Wenn Kultur und Wissenschaft nicht mehr die Räume dafür sind, dann müssen wir uns auch über die Demokratie echte Sorgen machen.“