Fachleute warnen vor Zuspitzung der Schuldenkrise armer Länder

Die Situation für hoch verschuldete Staaten im globalen Süden spitzt sich einem Bericht zufolge weiter zu. Nicht zuletzt durch die wieder gestiegenen Zinsen erreiche der Schuldendienst an die ausländischen Gläubiger in diesem Jahr neue Höchststände, hieß es in dem am Dienstag veröffentlichten Schuldenreport 2024 des katholischen Hilfswerks Misereor und des Bündnisses erlassjahr.de. Demnach fließen in den untersuchten 152 Ländern insgesamt über eine Milliarde US-Dollar pro Tag in den Schuldendienst – so viel wie noch nie. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) mahnte eine „gerechte Lösung der Schuldenproblematik“ an.

Kritisch bis sehr kritisch verschuldet sind dem Bericht zufolge inzwischen 55 Prozent der Länder, im Vergleich zu 37 Prozent im Jahr 2019 vor Beginn der Corona-Pandemie. Als Folge geht ein wachsender Teil der Staatseinnahmen in die Tilgung der Verbindlichkeiten. In 45 Staaten seien es bereits mehr als 15 Prozent.

Dieses Geld fehle für dringend notwendige Investitionen in Bildung, Gesundheit und Klimaschutz. „Viele Länder im Süden stehen buchstäblich mit dem Rücken zur Wand“, warnen die Fachleute. So sind im Libanon die Ausgaben für den Schuldendienst laut dem Bericht inzwischen zehnmal so hoch wie die für Bildung. In Ghana fließt elfmal mehr Geld in die Schuldentilgung als in das Gesundheitswesen.

Einen Ausweg aus der Schuldenkrise seien umfangreiche Schuldenerlasse. Ohne die Streichung von Verbindlichkeiten könne eine bessere wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den betroffenen Ländern nicht erreicht werden.

Entwicklungsministerin Schulze sagte mit Blick auf den Bericht, es brauche einen „neuen internationalen Konsens zum Umgang mit der dramatischen Verschuldung“. Für die Stabilität der Weltwirtschaft sei die Überschuldung eine „tickende Zeitbombe“. Eine gerechte Lösung sei nur möglich, wenn sich alle Gläubiger gleichwertig an Schuldenerlassen beteiligten. Die SPD-Politikerin verwies in diesem Zusammenhang insbesondere auf China, das zum größten staatlichen Gläubiger armer Länder geworden sei.

Die ersten Umschuldungen nach der Corona-Pandemie zeigen den Fachleuten zufolge, dass Gläubiger so wenig Erlass wie möglich gewährten. „Gläubigerinteressen dominieren. Es sind die Menschen in den Schuldnerländern, die dafür bezahlen“, sagte Klaus Schilder, Experte für Entwicklungsfinanzierung bei Misereor.

Mit Blick auf den im Herbst anstehenden UN-Zukunftsgipfel appellieren Misereor und erlassjahr.de an die Bundesregierung, sich dort für einen neuen Konsens zum Schuldenmanagement einzusetzen, um die Weichen für faire Entschuldungsverfahren zu stellen. So müssten sich öffentliche und private Gläubiger verpflichtend an Schuldenerleichterungen beteiligen. Zudem brauche es endlich den „politischen Grundstein“ für ein Staateninsolvenzverfahren.

Zu den größten Gläubigerstaaten von Ländern mit niedrigem Einkommen gehört inzwischen China. Auch die G7 als die Gruppe der größten Industriestaaten spielen eine bedeutende Rolle. Deutschland ist der viertwichtigste sogenannte bilaterale Gläubiger weltweit. Bilaterale Schulden sind Kredite eines Staates bei einem anderen Staat. Zu den privaten Gläubigern gehören insbesondere Investmentbanken.