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Expertengespräch: Kirche muss auf Rechtspopulismus reagieren

Rechtspopulistische Positionen sind kirchlichen Fachleuten zufolge wieder gesellschaftsfähig geworden. Pfarrer Lukas Pellio zufolge hat Kirche Möglichkeiten, dem zu begegnen.

Talkrunde beim Kapellengespräch (von links nach rechts): Martina Weyrauch, Esther Schabow, Lukas Pellio
Talkrunde beim Kapellengespräch (von links nach rechts): Martina Weyrauch, Esther Schabow, Lukas PellioJan-Olav Straakholder

Viele wichtige Kontakte ergaben sich einfach beim Grillen im Pfarrgarten in Spremberg. Das erzählt Lukas Pellio, der von 2020 bis 2023 Pfarrer in der Lausitzer Kleinstadt war. Dieser Effekt war durchaus beabsichtigt, denn im Kampf gegen Rechtspopulismus gilt es, Bündnisse zu schmieden.

Die Kapelle der Versöhnung in der Bernauer Straße in Berlin-Mitte ist am 25. Juni mit etwa 40 Menschen gut besucht. Das Thema des Abends lautet „Kirche und Rechtspopulismus“. Neben Lukas Pellio, heute Studierendenpfarrer in Cottbus, ist auch die ehemalige Leiterin der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung, Martina Weyrauch, Teil der Talkrunde. Die Moderation hat Esther Schabow, die Beauftragte für Kultur und Öffentlichkeit der Evangelischen Kirchengemeinde Versöhnung.

Bündnis “Unteilbar Südbrandenburg” setzt sich ein für Solidarität und Vielfalt

Lukas Pellio engagiert sich im Bündnis „Unteilbar Südbrandenburg“, das sich für Solidarität, Vielfalt und Menschenwürde einsetzt, im Bereich Kirchenasyl und in der Gefängnisseelsorge. Gut vernetzt verfügt er mit 4462 Followern über eine respektable Reichweite bei Instagram. Durch sein Engagement gegen Rechtsextremismus avancierte er zu einer der wichtigsten evangelischen Stimme im Osten.

„Erstmal ist es schön, eine Öffentlichkeit für seine, hoffentlich gut durchdachten Positionen zu haben“, sagt Pellio lachend, als die Moderatorin Esther Schabow ihn auf seine Bekanntheit anspricht. Wichtig ist es ihm aber zu betonen, dass viele Mitstreiter*innen eine gute Arbeit leisten. Die einen direkt an der Basis, die anderen, wie er, mit dem Verbalisieren von Positionen. Doch in Zeiten, in denen rechtsextreme Gewalttaten drastisch zunehmen, bedeutet Bekanntheit auch Schutz. Menschen bitten ihn, Sprachrohr für sie zu sein, weil sie Angst vor den Folgen für sie haben.

 

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Ein allgemeines „Brandenburg-Bashing“ missfällt Lukas Pellio. Auch wenn 2024 bei der Landtagswahl 54 Prozent der Zweitstimme auf die AfD entfielen. Die Partei wurde somit stärkste Kraft in Spremberg. Dass rechtsradikales Gedankengut in Spremberg auch im Stadtbild ganz offen sichtbar ist, musste der Pfarrer zu Beginn seiner Tätigkeit feststellen. Er sah beispielsweise öfter einen Aufkleber mit einem Bild von Adolf Hitler, auf dem stand „Kein Mensch ist illegal“. Eigentlich kannte er diesen Sticker nur in einem linken Kontext. In Spremberg haben vermutlich Rechtsradikale den Sinn komplett verdreht. Eine klare Provokation an alle, die sich beispielsweise für Menschen mit Fluchthintergrund einsetzen.

Zunächst war es schwierig für Lukas Pellio, in Spremberg Anschluss zu finden. Aber der Pfarrer ist ein Netzwerker. Und kann
dadurch immer wieder inhaltliche Akzente setzen. Er sammelte mehr und mehr Kontakte zu Menschen, die ihm ähnlich gesinnt sind und lud sie zum Grillen in den Pfarrgarten ein, kam ins Gespräch. Und stellte teilweise erstaunt fest, wie viel sie verbindet. Pellios Prinzip ist dabei klar: Über Gemeinsamkeiten und Werte, einen Rahmen zu schaffen, der dann stark genug ist, um gemeinsam rechte Strukturen zu bekämpfen.

Eine zentrale Frage des Abends ist, wie man der AfD und deren Wählerschaft begegnen soll. Eine Antwort: Mit Klarheit, Unwahr­heiten aufzeigen und benennen. Gerade im Gespräch mit jungen Menschen ist ihm das besonders wichtig. Oft entsteht so eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe. Die oft genutzte Formulierung „Nichts darf man mehr sagen“ kann Pellio so entkräften. Denn sagen, was sie oder er denkt, soll jede und jeder. Aber wenn das faktisch nicht vertretbar sei, müsse es benannt werden, so Pellio.

Kirche muss anders kommunizieren, meint Martina Weyrauch. Es gehe darum die Ängste der Menschen zu verstehen, die Ängste der Menschen, die, die AfD wählen, sagt sie. Die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin weiß, dass vielen in Ostdeutschland die Friedliche Revolution und ihre Folgen noch in den Knochen stecken. Arbeitsplätze gingen verloren, Lebensleistungen waren plötzlich nichts mehr wert. Diese Erfahrungen prägen die Menschen bis heute – und die Situation mit den Geflüchteten lässt sie wieder aufleben. Doch Jesus war es, der sagte: „Fürchte Dich nicht.“

Martina Weyrauch: Es braucht klare Kommunikationsregeln

Dieser Satz müsse den Menschen wieder an die Hand gegeben werden. Darüber besteht in der Talkrunde Einigkeit. Dazu gehören für Martina Weyrauch aber auch klare Kommunikationsregeln. Hausrecht bleibt Hausrecht. Gerade bei politischen Diskussionen. Und das
definiert sich über die Werte und Grundsätze der Bibel.

Auch Zuhörende kommen beim Kapellengespräch zu Wort. Eine Besucherin erzählt von einem Mann aus ihrer Gesanggruppe, der ihr
sagte, dass er die AfD wählt. Sie reagierte weder mit Härte noch Ausschluss. Sondern sie bemühte sich, mit dem Mann nicht über politische Themen zu reden und ihm trotzdem ein Gefühl der Gemeinschaft zu vermitteln.

Zuhörerin: AfD-Wählerinnen und Wähler nicht aus der Kirchengemeinde ausschließen

Die Frage, wie Kirche, Gemeinden, Christinnen und Christen mit der AfD umgehen sollen, bestimmt den Abend. Nach der Veranstaltung unterhalten sich drei Teilnehmerinnen weiter darüber. Eine von ihnen sagt, man könne AfD wählende Menschen nicht aus der Kirchen­gemeinde ausschließen, schließlich seien sie in der Gemeinde dafür einfach zu wenige.

Lukas Pellio meint dazu: „Es gibt zahlreiche AfD-­Wählerinnen, die Teil unserer Gemeinden sind. Ich bin auch froh darüber, dass sie Teil unserer Gemeinden sind. Denn ich glaube, wir haben viel anzubieten, was einer extremen Rechten und Radikalisierung hoffentlich den
Boden entziehen kann.“ Und fügt hinzu: „Gleichzeitig gibt es in Kirchengemeinden auch einen gewissen Grundkonsens. Er speist sich aus der biblischen Grundüberzeugung, dass alle Menschen von Gott geschaffen sind, jeder Mensch willkommen ist.“ Wenn sich unterschiedliche Menschen unter dieser Prämisse zusammenfinden, könne es auch zu Reibungen kommen. Aber indem sie sich damit auseinandersetzen, sei es Kirchengemeinden auch möglich, „einen Beitrag zur Verbesserung des Umfeldes zu leisten“.

Lukas Pellio: Öffentlichen und kirchlichen Raum gemeinsam nutzen

Das Gemeindeleben betrachtet der Theologe als große Chance. Denn eine Gemeinde könne ganz praktisch Räume anbieten und Treffpunkte schaffen. „Ich glaube, dass Vernetzung oft funktioniert, wenn man was anzubieten hat.“ Kirche besitzt Ressourcen, die sie Menschen, egal ob mit oder ohne Konfession, anbieten kann: Räume zum Austausch oder eventuell auch Gelder für gemeinsame Aktionen. Pellio formuliert das so: „Ihr wollt etwas Gutes machen und ich stelle euch dafür etwas zur Verfügung. Ihr müsst euch nicht taufen lassen, aber wir können den öffentlichen und den kirchlichen Raum gemeinsam nutzen.“

Lukas Pellio weiß um die Kraft seiner Gemeinde, um die Kraft der Gemeinschaft. Die kann es seiner Meinung nach schaffen, dem Rechtsruck entgegenzuwirken. Als Pfarrer in Cottbus kann und will er etwas verändern.

Die Versöhnungskirche auf dem Areal der Gedenkstätte Berliner Mauer lädt regelmäßig zu „Kapellengesprächen“ ein. Diese widmen sich aktuellen gesellschafts- und kirchenpolitischen Themen. Mehr Informationen unter: https://gemeinde-versoehnung.de/