Experten: Deutlich niedrigere Suizidrate wäre möglich

Die bundesweite Suizidrate könnte laut der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention in den kommenden Jahren um 30 Prozent gesenkt werden. Ein solcher Rückgang zumindest sei das globale Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO), das sich auch Deutschland auf die Fahnen schreiben könnte, sagte die Vorsitzende Ute Lewitzka zum Start einer Fachtagung zur Suizidprävention am Donnerstag in München. Jedes Jahr sterben den Angaben zufolge um die 10.000 Menschen in Deutschland durch Selbsttötung, in den vergangenen Jahren sei die Zahl wieder gestiegen.

Die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), sagte, dass die allermeisten suizidalen Menschen nicht den Wunsch nach dem Tod hätten, sondern nach einer Pause von einer für sie unerträglichen Lebenssituation. Niedrigschwellige und leicht erreichbare Hilfsangebote seien hier sehr effektiv und müssten ausgebaut werden, forderte sie. Ein solches Hilfssystem sei in Deutschland aber bisher nicht etabliert. Denn Selbsttötung sei noch immer ein großes Tabuthema. Für Menschen in suizidalen Krisen wirkten Gespräche darüber aber präventiv.

Kappert-Gonther forderte darüber hinaus eine rund um die Uhr erreichbare und bundesweit einheitliche Telefonhotline für Menschen mit Suizidgedanken. Die kirchliche getragene Telefonseelsorge sei zwar ein bekanntes und gutes Angebot, es brauche aber hier ein gezieltes Angebot für suizidale Menschen. Nach Angaben von Experten ist Bayern bislang das einzige Bundesland, das mit seinem „Krisendienst Bayern“ flächendeckend ein solches Angebot habe.

Suizide verhindern könnten auch einfache bauliche Maßnahmen, etwa höhere Geländer an Brücken, die als ein Suizid-Hotspot gelten, sagte Kappert-Gonther. Sie hoffe, dass ein entsprechendes Suizidpräventionsgesetz noch dieses Jahr verabschiedet wird. Derzeit befinde es sich noch in der Ressortabstimmung, sagte die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag.

Die Fachleute forderten zum Start der Tagung auch einen sensibleren Umgang der Medien mit Suizid – speziell dem assistierten Suizid, von dem vor allem ältere und kranke Menschen betroffen sind. Claudia Bausewein, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin am LMU-Klinikum München, sagte, dass in Fernsehbeiträgen häufig romantisierend und beschönigend über Menschen berichtet werde, die den assistierten Suizid wählten. Infolgedessen gingen die Anfragen bei Sterbehilfeorganisationen nach oben.

Besser wäre, über Menschen zu berichten, die durch Hilfsangebote von dem Wunsch wieder abkommen, sagte sie. Eine solche Berichterstattung wirke nachweislich präventiv bei Menschen mit Suizidgedanken. Fachleute aus Medizin, Politik und Gesellschaft treffen sich noch bis 12. Oktober im kbo-Isar-Amper-Klinikum in München-Haar, um über die Vermeidung von Suiziden zu sprechen. Veranstalter ist die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention. (01/3019/10.10.2024)