Experte: Muslime müssen mehr Haltung zeigen

Der Pädagoge Navid Wali kämpft gegen die islamistische Bewegung “Muslim interaktiv”. Diese Gruppierung, die am vergangenen Wochenende in Hamburg demonstrierte, hält er für besonders gefährlich.

Nach Ansicht des Pädagogen Navid Wali ist der Zulauf zu den Tarnorganisationen der verbotenen Kalifatsbewegung zur Zeit besorgniserregend. “Ich beobachte von Jahr zu Jahr, dass der Zugang und Kontakt solcher islamistischen Bewegungen zu jungen Menschen einfacher werden”, sagte er am Freitag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. Der Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation “Violence prevention network” berät junge Muslime, die in der islamistischen Szene aktiv sind oder waren und hilft ihnen beim Ausstieg.

Am vergangenen Wochenende waren rund 1.000 Menschen auf einer von der islamistischen “Muslim Interaktiv” organisierten Demonstration mit Parolen wie “Kalifat ist die Lösung” durch Hamburg gezogen.

“Muslim interaktiv” ist eine der Organisationen aus dem Umfeld der seit 2003 mit einem Betätigungsverbot belegten Hizb ut-Tahrir. Sie ist vor allem in Hamburg aktiv und wecke “Assoziationen an Life-Style und Pop-Kultur”, so Wali.

Im Rhein-Main Gebiet existiere mit “Realität Islam” eine gesinnungsmäßig ähnliche Gruppierung, die aber eher “einen politischen Touch” besitze und zum Beispiel auf Bundestagbeschlüsse zum muslimischen Leben in Deutschland direkt mit entsprechenden Videos im Netz reagiere.

Bundesweit werden laut Verfassungsschutz 750 Personen (Stand 2022) der verbotenen Kalifatsbewegung “Hizb ut-Tahrir” zugerechnet; dazu kommt laut Wali eine hohe Dunkelziffer.

Die Bewegung “Muslim interaktiv” etwa versuche gezielt, gut integrierte deutsche Muslime zu erreichen. “Dies wird über die Identität versucht”, sagte Wali. Anhand von Beispielen werde suggeriert, dass in Deutschland nur der Muslim akzeptiert würde, der seine muslimische Identität, die Religion und die Kultur völlig abgelegt habe und außer seinem Namen nichts Muslimisches mehr besitze. Als Beispiel werde hier etwa Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) angeführt.

Die jungen Menschen würden in digitalen Räumen angeworben; die Ideologisierung finde dann im analogen Bereich statt, so Wali. Dabei werde eine Art “ganzheitlicher Ansatz” verfolgt, das heißt, auch die Familie werde zu Wohnzimmertreffs oder Wochenendreisen eingeladen. “Darüber wird versucht, die Person an sich zu binden.”

Er selbst sei durch seine Arbeit Bedrohungen von Islamisten ausgesetzt. Das nehme er hin. “Es geht nicht anders. Es muss mehr Haltung gezeigt werden auch aus muslimischen Kreisen”, sagte Wali, der selbst afghanische Wurzeln hat. “Ich lebe hier in einer liberalen Gesellschaft, in der ich mich in meinem Glauben zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt fühle.”

Bei seiner Arbeit versuche er “niedrigschwellig Veränderungsimpulse zu setzen.” So bespreche er zum Beispiel Themen, welche die jungen Menschen im Alltag beschäftigten und schaue mit ihnen gemeinsam aus verschiedenen Perspektiven auf ihre Sorgen und Bedürfnisse.

“Ich versuche, die Gefahr von einfachen Botschaften deutlich zu machen.” Bei Sozialen Medien wie TikTok gebe es etwa ein Video, das 30 Sekunden dauere und die Überschrift trage “Warum die Medien islamfeindlich sind”, sagte er.

Medien- und Wissenschaftsfeindlichkeit nähmen generell zu, nicht nur in islamistischen, sondern auch etwa in rechtsradikalen Kreisen. “Es geht darum, wie wir es schaffen, die Demokratie wieder attraktiv zu machen”, so Wali.