Experte fordert mehr Förderung des Gewaltschutzes für Männer
Dass auch erwachsene Männer, die Opfer von Gewalt werden, Schutz und Unterstützung brauchen, sollte eigentlich einleuchten – dennoch ist das Thema weiterhin mit einem Tabu belastet. Dabei kann das Rollenbild des unbedingt „starken Mannes“, der alles mit sich selbst ausmacht, gravierende Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft haben, mahnt Männerberater Enrico Damme. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt der Referent der Dresdener Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz (BFKM), wann sich betroffene Männer Hilfe suchen und welche Unterstützung sie benötigen.
KNA: Herr Damme, welche Männer suchen – soweit sich das sagen lässt – typischerweise Weise eine Männerschutzeinrichtung auf?
Enrico Damme: Den typischen Betroffenen gibt es eigentlich nicht. Entsprechend unserer Nutzungsstatistik 2022 und auch den Erfahrungen aus den Vorjahren kommen in die Beratungen Männer ohne Bildungsabschluss genauso wie Akademiker. Es gibt eine leichte Tendenz zu Männern mittleren Alters mit mittlerem Bildungsabschluss. Die Palette der Fälle reicht vom 18-jährigen, der von Zwangsverheiratung bedroht ist, bis zum Senioren, dem nach 30 Jahren bewusst wird, dass er durch die Partnerin sozial isoliert wurde und mit massivem psychischen Druck ausgesetzt war.
KNA: Welche Hindernisse bestehen aus Ihrer Erfahrung bei der Männerberatung für die Betroffenen, über das Thema Gewalterfahrung zu sprechen?
Damme: Wenn sie emotionale Probleme haben, versuchen Männer schon immer eher allein, diese zu lösen. Das Problem ist also zuerst eines des Zugangs zu Beratung, des Sich-Aufmachens dazu. Das für solche Befunde maßgeblich verantwortliche einseitige Rollenbild des „starken Mannes“ ist nach wie vor tief verwurzelt. Viele Männer haben Angst, dass ihnen als Betroffenen nicht geglaubt wird. Und wer glaubt, mit dem Zeigen von negativ besetzten Gefühlen wie Angst oder Scham jenseits der Norm zu stehen, sucht sich nur bei wirklich existenziellen Bedrohungen Hilfe – oft also sehr spät. Dazu kommt, dass fehlende öffentliche Angebote oder die fehlende Kenntnis von Angeboten den Eindruck erwecken, dass Mann allein mit seinem Gewaltproblem ist.
KNA: Sie sprachen von mutmaßlich fehlender Akzeptanz beim Thema Männergewaltschutz. Welche gesellschaftliche Veränderung wünschen Sie sich, wie kann es aus der Tabuzone geholt werden?
Damme: In der Public Story – also in der Werbung, in klischeebelasteten Mediendarstellungen und auch im politischen Diskurs – werden Männer häufig als willensstark, zielsicher und körperlich überlegen dargestellt. Männer mit Lebensstilen, die dazu quer liegen, werden häufig femininer gezeigt, obwohl sie im Grunde die schweigende Mehrheit der Gesellschaft ausmachen. Um häusliche Gewalt gegen Männer aus der Tabuzone zu holen, muss es ein öffentliches Bewusstsein dafür geben, dass Männer auch verletzlich sein können. Es ist also gut, wenn über reale Fälle von Männern als Betroffenen berichtet wird, sodass das Thema greifbarer und publik wird. Mann sein ist vielfältig, deswegen sprechen wir sogar eher von Männlichkeiten im Plural.
Es sind dringend Differenzierungen nötig, wollen wir die hohen Folgekosten männlicher Gewaltbetroffenheit etwa im Renten- und Gesundheitssystem senken. Weiterhin müssen die Hilfeangebote, die es gibt, auch bekannt sein, sodass Betroffene Hilfe finden, wenn sie diese benötigen. Auch Ärzt*innen, Polizei, Beratungsstellen sollten für die Thematik sensibilisiert sein und die örtlichen Hilfeangebote kennen.
KNA: Im Gegensatz zu Frauenhäusern sind Männerschutzeinrichtungen in Deutschland noch relativ rar gesät, nur insgesamt 12 auf fünf Bundesländer verteilt. Welche Forderungen stellen Sie konkret an Bund, Länder und Kommunen, damit mehr Plätze zur Verfügung gestellt werden können?
Damme: Wir gehen davon aus, dass es mindestens drei bis fünf Männerschutzeinrichtungen pro Bundesland – je nach Größe und Einwohnerzahl – geben muss. Das wäre noch keine gute, aber so etwas wie eine Mindest-Flächendeckung. Aus unseren Nutzungsstatistiken 2021 und 2022 wissen wir, dass fast die Hälfte der hilfesuchenden Männer in der Nähe der Männerschutzeinrichtung lebt, also in derselben Kommune oder mindestens im selben Bundesland. Diese Erkenntnis spricht für ein flächendeckendes Hilfesystem, um überall Betroffene zu Hilfen zu ermutigen.
Um das Netz quantitativ und qualitativ gut ausbauen zu können, braucht es vor allem entsprechende Förderungen durch die Bundesländer. Beratungs- und Hilfesysteme sind ja im föderalen System Ländersache. Bisher gibt es nur in Sachsen eine gesetzliche Förderrichtlinie für Männergewaltschutzeinrichtungen. Alle Schutzwohnungen in anderen Bundesländern werden als sogenannte „Pilotprojekte“ unterstützt, haben also keine feste Perspektive. Thüringen arbeitet derzeit daran, und wir wünschen uns mehr Engagement von Politik und Verwaltung auch in anderen Bundesländern.
Manche, wie die älteste Schutzwohnung in Oldenburg, werden schon immer ehrenamtlich betrieben und nur lokal unterstützt. Dort arbeitet man zwar auch professionell, dennoch sollte das die Ausnahme bleiben. Denn gute Fachkräfte lassen sich nicht ohne professionelle Rahmenbedingungen finden und halten.
KNA: Ist es möglich, über mehr Schutz für gewaltbetroffene Männer zu sprechen, ohne dabei gleichzeitig relativierend der doch noch weiter verbreiteten Gewalt gegenüber Frauen zu werden?
Damme: Ja, das ist möglich. Wir betonen immer wieder – und dahinter stehen wir auch -, dass das bestehende Hilfesystem für alle Betroffenen häuslicher Gewalt ausgebaut werden muss. Dies fordert im Übrigen auch die Istanbul-Konvention, so wie wir sie verstehen. Der Ausbau der Männerhilfesystems darf niemals zulasten bestehender Projekte passieren. Es muss vielmehr einen Aufwuchs der Mittel geben, um den Bedarfen gerecht zu werden. Jede und jeder Betroffene von häuslicher Gewalt hat ein Hilfeangebot verdient – da spielt es keine Rolle, welchem Geschlecht oder welcher Sexualität sich die Person zuordnet.