Pädagogen: Kriegsbilder können Kinder massiv verängstigen
Eine tote Frau auf einem Lieferwagen, daneben Männer mit Maschinenpistole: Es sind Bilder wie diese, die im Kopf hängen bleiben – auch und gerade bei Kindern. Pädagogen geben Tipps zum Schutz davor.
Bilder von Menschen, die enthauptet werden, von Blut verschmierten Fußböden oder Raketenangriffen: Vor allem durch das Internet finden Gewaltbilder ihren Weg auch ins Kinderzimmer. Erst der Krieg in der Ukraine, jetzt der Krieg im Nahen Osten: Komplett von diesen Nachrichten und den begleitenden Bildern fernhalten kann man Kinder nur schwer.
„Kinder schnappen Gesprächsfetzen der Eltern oder Mitschüler auf oder sehen selbst etwas im TV oder in den Sozialen Medien“, sagt der Münchner Medienpädagoge Michael Gurt. „Solche schrecklichen Ereignisse sind auch im Kinderalltag daher leider präsent. Deshalb ist es wichtig, dass sich Eltern damit beschäftigen, wie sie mit solchen Fragen umgehen.“
Kriegsbilder brennen sich ein
Gurt betont, dass Kinder schon sehr früh einschätzen könnten, ob etwas real oder fiktiv – etwa ein Krimi – sei. „Wenn Kinder Bilder von Kriegsopfern sehen, können sie massive Ängste entwickeln, weil sie das auf sich und ihr Umfeld beziehen. Sie befürchten dann, dass ihnen das, was sie gesehen haben, auch passieren könnte. Die Bilder brennen sich ein.“ Erwachsene dagegen entwickelten im Laufe ihres Lebens zunehmend Strategien, solche Bilder nicht zu sehr an sich ranzulassen, so der Experte.
Deshalb sei es wichtig, dass Eltern ihren Kindern Stabilität signalisierten. „Kinder brauchen das Gefühl, dass Erwachsene nicht von den Ereignissen und ihren Emotionen überwältigt werden“, so Gurt, der bei Flimmo arbeitet, einem Elternratgeber für TV, Streaming und YouTube.
Eltern müssen Gesprächsbereitschaft signalisieren
Grundsätzlich sei ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Kindern wichtig: „Kinder dürfen nicht das Gefühl haben, dass ihnen vorgeworfen wird, was sie gesehen haben.“ Eltern müssten grundlegende Gesprächsbereitschaft signalisieren und den Kindern klar machen, dass sie jederzeit mit Fragen kommen können.
Die elterliche Reaktion sei auch abhängig vom Alter der Kinder, sagt Gurt. Bei Kindergartenkindern empfehle es sich etwa, mögliche Fragen „einfach und klar“ zu beantworten, ohne auf Details einzugehen. „Wichtig ist auch, etwas Positives mit reinzunehmen – zum Beispiel zu sagen, dass Politiker alles tun, damit der Krieg schnell wieder aufhört“, erklärt Gurt. „Man sollte das Gesehene nicht so stehen lassen, sondern einbetten.“
Eltern von Grundschulkindern rät er, sich gemeinsam mit ihren Kindern auf die Suche nach angemessenen Inhalten zu machen. Geeignet sei etwa die Kindernachrichtensendung „logo“: Diese verzichte auf drastische Bilder und erkläre die Hintergründe anschaulich.
Bei älteren Kindern zwischen elf und dreizehn Jahren sei es wichtig, dass Eltern deren Social-Media-Aktivitäten im Blick hätten. „Sie sind oft schon mit dem eigenen Smartphone unterwegs, informieren sich auf Tik Tok, Instagram und Youtube. Das kann sehr problematisch sein, weil die Nachrichten hier nicht nur schreckliche Bilder transportieren, sondern auch subjektiv gefärbt sein können – bis hin zu Propaganda“, sagt Gurt. Eltern sollten deshalb mit Kindern darüber ins Gespräch kommen, was sie gesehen haben – und sie dafür sensibilisieren, das Gesehene zu hinterfragen.
Onlinekonsum bei Kindern einschränken?
Kann das Betrachten solcher Bilder statt zu Angst und Verstörung auch zu eigener Gewalt führen? Die niedersächsische Schulleiterin Silke Müller, die kürzlich ein Buch über die Gefahren für Kinder im Netz geschrieben hat, beobachtet bei ihren jugendlichen Schülern zumindest eine gewisse Abstumpfung – so häufig seien diese online mit gewaltverherrlichenden oder auch kinderpornografischen Bildern konfrontiert.
„Unsere Kinder sind durch die Sozialen Medien massiv beeinflusst – und das betrifft eben auch das Mitgefühl“, sagt sie. Junge Menschen, die ihre Moral- und Wertvorstellungen erst entwickeln müssten, hätten noch nie so leicht Zugang zu menschlichen Abgründen gehabt wie momentan. Für Müller sind Gewaltbilder im Netz deshalb auch ein Grund, eine gesetzliche Smartphone-Erlaubnis erst ab 16 Jahren einzufordern.