An diesem Wochenende haben die Menschen Gestecke in den Händen und in ihren Taschen tragen sie Kerzen. Die Trauernden gehen an die Gedenkorte und auf die Friedhöfe, mancher gramgebeugt und aufgestützt. Die Füße streifen durch das gefallene Laub, das sich feucht und schwer unter die Sohlen legt. Sie gehen wie auf einem Teppich, der von Veränderung und von Vergänglichkeit erzählt. Angekommen, legen sie die Blumen ab und zünden ein Licht an für den Menschen, der unersetzbar ist.
Längst ist auch diese Praxis nicht mehr überall gang und gäbe. Längst haben sich auch die Trauerwege individualisiert. Weil Menschen ganz verschiedene Bedürfnisse haben, auch mit Abschied, Verlust, Schmerz und Tod umzugehen. Die einen mögen sich eher zurückziehen und suchen nach ihren persönlichen Erinnerungs- und Schutzräumen. Die anderen suchen die Gemeinschaft derer, die ähnliche Wege beschreiten müssen. Wohl dem, der Orte und Räume haben kann, in denen die Trauer sich zeigen darf, denke ich. Wohl dem, der ein Gegenüber hat, das sie erträgt und darin auch ein Stück mitträgt.
Gemeinschaftlich trauern
Ich frage mich: An welchen Stellen wird eigentlich von den Verlusten und Abschieden gesprochen, die wir als Gesellschaft zu verarbeiten und zu tragen haben? Reden wir nur im Privaten darüber oder auch im größeren Rahmen, dass wir gemeinschaftlich besorgt sind angesichts der vielen Umbrüche und Abbrüche? Diese Sorge geht doch mit Trauer einher, um das, was sich da verabschiedet. Wenn sich vermeintliche Sicherheiten als brüchig erweisen. Wenn wertebasierte Zusammenarbeit wegbricht und unverhohlene, rohe Machtgebärde neue Drohungen durch den Äther und auf die Meere jagt. Wir tragen doch neben persönlichen Verlusten auch die Leiden dieser Zeit.
Am Ewigkeitssonntag freilich stehen die Erinnerungen an Verstorbene im Mittelpunkt. In unseren Gottesdiensten und Andachten laden wir ein, Trauer zu teilen. Wir gedenken der jüngst und längst Verstorbenen. Wir beten für die, mit denen das eigene Leben und das der Familien und Gemeinde verbunden war. Und merken: Das soll nicht auch verloren gehen. Die Verbundenheit soll bleiben. Was denn sonst? Wir wollen sogar im Angesicht des Sterbens verbunden bleiben. Nicht zuletzt auch mit unserer Hoffnung und mit dem EINEN, der alles zusammenhält: Leben und Tod.
Trauer darf sich bewegen
Ja, es ginge uns wohl nicht nur persönlich besser, wenn Traurigkeit und Sorge mehr Raum hätten und mehr Ausdruck fänden. Wenn auch sie verbunden wären mit unserem Alltagserleben. Wenn sie weniger zur Randerscheinung und zum Problem Einzelner erklärt würden. Wenn die Versuche, sie zu verdrängen, weniger erfolgreich wären. Wieviel Schmerz und Enttäuschung stecken in dem hohen Aggressivitätslevel, das wir erleben und wieviel Ohnmacht? Ein Thema am Rand gehört hinein in die Mitte der Gesellschaft – der Umgang mit Abschied und Trauer, Tod und eben der Vergänglichkeit.
Hinein gehören diese Themen auch in das Leben unserer Gemeinden und Kirchenkreise. Auch hier soll, darf und muss sich zeigen dürfen, was los ist bei uns und mit uns. Ja, jeder trauert anders und Menschen verarbeiten anstehende und zu bewältigende Abschiede unterschiedlich. Und trotzdem können sie sich auch darin verbinden mit anderen. In der Mitte kirchlichen Lebens werden sie vielerorts willkommen geheißen. Ob bei Soul-Food-Kochabenden für Trauernde oder dem Trauerfestival ENDlich, ob in Trauergruppen, Seniorenkreisen oder im Vier-Augen-Gespräch mit einer Seelsorgerin. Das eigene Erleben verändert sich im Spiegel der Solidarität und im Teilen.
Auch dafür brauchen wir Verbundenheitsräume. Denn sogar die Traurigkeit selber, die ja den Verlust beweint und verschmerzen will, kann sich bewegen, kann sich weiten und sich wandeln. Ganz langsam kann neben sie treten, was zum Leben mit ihr hilft – Liebe und Dankbarkeit.
Theresa Rinecker ist Generalsuperintendentin für den Sprengel Görlitz der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.
